Robert Lepage ist ein Filmemacher, der seine Vergangenheit kaum verbergen kann. Bei seiner unaufgeregten Sinnsuche „Die andere Seite des Mondes“ gilt das insbesondere für dessen Tätigkeiten als Designer und Theaterautor. Nach dem gefeierten Bühnenstück folgt die Kinoadaption. Die Bildübergänge sind weich, geradezu fließend, die Ausstattung im Detail verspielt. Lepage füllt als treibende Kraft verschiedene Ebenen und in Funktion des Hauptdarstellers gar eine Doppelrolle – die der Brüder Philippe und André.
Im Mittelpunkt steht der intellektuelle Träumer Philippe, der mit 40 in der Geschichte der Raumfahrt schwelgt und wiederholt versucht, durch eine umstrittene Abhandlung den Doktortitel zu erlangen. Nebenbei arbeitet er in einem Call Center und kümmert sich um die einst stolze, doch über die Jahre mehr und mehr gebrochene Mutter. André ist das Gegenteil. Er ist schwul, erfolgreich beim Fernsehen beschäftigt und mehr oder weniger im reinen mit sich und seiner Umwelt.
Als die Mutter stirbt, bricht für Philippe eine Welt zusammen. Er flüchtet sich in einen Wettbewerb, bei dem die Raumfahrtbehörde ausgesuchte Videos in Daten umwandeln und ins Weltall senden will – als Informationsprogramm für außerirdische Lebensformen. Abermals weist man seine Doktorarbeit zurück. Dafür wird er zu einem Kongress nach Russland eingeladen, bei dem er seine Theorien in einem Vortrag veranschaulichen soll. Er sieht seine Chance. Doch es kommt anders.
Lepage geht es um die Verbindung des Bedeutsamen mit dem Belanglosen. Geradezu traumwandlerisch begleitet er Philippe durch Vergangenheit und Gegenwart. Rückblenden, Brocken der Erinnerung, zeigen ihn und André als Kinder. In ihnen liegt der Schlüssel zum späteren Verhalten. „Die andere Seite des Mondes“ ist weder Drama noch Komödie. Irgendwo dazwischen, ohne auf vordergründige Tragik oder Humor zu setzen. Selbst wenn es einen weiteren Toten zu beklagen gibt: Philippes Goldfisch. Der Bruder sollte auf ihn acht geben. Als er ihn findet, ist das Glas zugefroren.
Aus dieser scheinbaren Bagatelle greift die flüchtige Geschichte das Potenzial zur Veränderung. Die Geschwister, sonst kaum in der Lage ein vernünftiges Gespräch miteinander zu führen, kommunizieren. Ein Anfang ist getan. Der Schluss zeigt Philippe am Flughafen in Moskau, beim Übergang in die Schwerelosigkeit. Er schwebt einfach von seiner Sitzschale empor, als wäre eine schwere Last von seinem Herzen gewichen. Eine Veränderung ist da. Nur auf subtiler Ebene bewegt sie die Welt. Ein wunderbarer, ein ehrlicher Film.
Wertung: (8 / 10)