Es gibt sie noch, die verstörenden Filmwerke, die den Zuschauenden herausfordern. Mit entgrenztem Ideenfundus und schmerzhafter Moralverschiebung. Bei „Der Schacht“, dem Langfilmdebüt von Galder Gaztelu-Urrutia, zeigt sich einmal mehr, dass die Wirkung potenziert wird, je weniger die Hintergründe erläutert werden. Dabei ist die Prämisse, ähnlich dem Independent-Klassiker „Cube“ (1997), simpel: ein schier unüberwindbares architektonisches Konstrukt, in ihm gefangene Menschen und eine perfide Prozesskette, die Solidarität erlaubt, im Grunde aber nur Barbarei hofiert.
Die Vergleichbarkeit endet jedoch mit den ersten beiden Aspekten. Denn im „Vertikalen Zentrum für Selbstverwaltung“ wissen die Eingesperrten, warum sie dort sind. Der Komplex ist ein aufragendes Gefängnis, bei dem jedes Stockwerk eine Zelle für je zwei Personen bildet. In deren Mitte befindet sich eine rechteckige Öffnung, durch die einmal täglich eine Aufzugsplattform fährt, die ein auf Ebene 0 von Meisterköchen zubereitetes Festbankett bereithält. Während der kurzen Verweildauer pro Etage können sich die Gefangenen der Völlerei hingeben, wohl wissend, dass die unteren Zellen, wenn überhaupt, nur karge Reste erreichen.
Befeuert wird das perfide System, dessen Organisation ein kafkaeskes Rätsel bleibt, durch ein monatliches Wechselspiel: einströmendes Gas, Ohnmacht, Erwachen auf anderem Level. Wer Glück hat, residiert in den oberen Sphären. Doch je weiter in der Tiefe sich die Etage befindet, desto aussichtsloser erscheint die Aussicht aufs Überleben. Ein menschenverachtendes Auf und Ab. Die mit dem anonymisierten Namen Goreng (Ivan Massagué, „Pans Labyrinth“) versehene Hauptfigur hat sich für sechs Monate freiwillig in diese Hölle begeben. Der Intellektuelle wird es bereuen, keine Frage. Sein Zellengenosse ist der geschwätzige Trimagasi (Zorion Eguileor), der wegen Totschlags einsitzt und nahezu jeden Satz mit der Floskel „Völlig klar“ beendet. Er weiß, was es zum Überleben braucht.
Ein Spiegel der Gesellschaft: Fressen oder gefressen werden
Der Start auf Level 48 ist kein Zuckerschlecken. Zu Fressen gibt es, was die 94 Insassen über ihnen übrig gelassen haben. Zunächst verspürt Goreng keinen Appetit. Doch der Hunger kommt. Die Bevorratung von Nahrung ist keine Option. Als Strafe droht ein rapider Anstieg oder Abfall der Zellentemperatur. Mit tödlichen Konsequenzen. So bleibt nur der kurze Zeitabschnitt, in dem die Büffet-Plattform Station macht. Dazwischen steht das Warten. Ab und an fällt ein Toter in Tiefe. Der Körper versorgt die unteren Abschnitte in unbewusster Solidarität. Auf die kann Goreng im zweiten Monat nur hoffen. Ebene 171. Kein Essen. Keine Reste. Nichts. Nur Wahnsinn, ein Alptraum aus Entbehrung, Angst und Kannibalismus.
Die Höhen und Tiefen des Lebens sind in „Der Schacht“ metaphorischer Grundpfeiler des Konzepts. Mehr noch die Struktur der modernen Gesellschaft: Die Oberen schwelgen im Überfluss, die Unteren gehen vor die Hunde. Dabei erschließt sich Goreng erst allmählich, wie weit der perfide Kerker nach unten führt. Im Laufe der Monate teilt Goreng das Stockwerk mit anderen Schicksalsgenossen. Erst ist es Transgender Imoguiri (Antonia San Juan, „Alles über meine Mutter“), der über Jahre selbst Menschen in diese Hölle geschickt hat. Danach der simpel gestrickte Baharat (Emilio Buale, „The Gunman“). Mit ihm plant er die Revolution: eine mit Gewalt geschützte Essenslieferung bis ganz nach unten.
Es geht um ein Zeichen, ein Manifest, das es zurück in die oberste Etage schaffen muss. Dabei zählt nur die Botschaft, egal wie viele Schädel für dessen Bewahrung zertrümmert werden müssen. Die Suche nach einer tieferen Bedeutung, unterstrichen durch teils überbordenden, nicht selten religiös gefärbten Symbolismus, wird für Goreng zum Antrieb, dem Wahnsinn, den von Toten kommentierten Wahnvorstellungen einen Sinn zu geben. Leicht verdaulich ist der nüchtern inszenierte, entlarvend allegorische Horrortrip nicht. Um beständiges Unbehagen zu schaffen, braucht es dabei keine ausgeschmückte grafische Gewalt. Die Grenzerfahrung ist bereits der dystopische Ansatz. Völlig klar.
Wertung: (7,5 / 10)