Der Pirat von Shantung (HK 1972)

der-pirat-von-shantungMit der Kinoschmiede Shaw Brothers haben die Brüder Runme und Run Run Shaw Geschichte geschrieben. Das bis zum Tode Runmes im Jahr 1985 existente Studio (Run Run starb im Januar 2014 mit 106 Jahren) produzierte in den sechs Dekaden seines Bestehens mehr als 1.000 Filme und war maßgeblich für die Salonfähigkeit des Martial-Arts-Genres verantwortlich. Stars und Klassiker haben die Shaws viele hervorgebracht. Einer davon ist Chen Kuan-Tai („Die fliegende Guillotine“), der in rund 80 Studiowerken mitwirkte. Nach einigen Klein- und Nebenrollen feierte er seinen Durchbruch 1972 mit „Der Pirat von Shantung“, international bekannt als „The Boxer From Shantung“.

In der Retrospektive scheint das klassische Handlungskonstrukt den amerikanischen Kult-Gangsterfilm „Scarface“ (1983) vorwegzunehmen. Denn schon bei den Shaws sucht ein Jüngling aus der Provinz in der Ruhm und Reichtum verheißenden Großstadt sein Glück und steigt durch Ambition und Skrupellosigkeit zur Unterweltgröße auf. Nur ist es bei den Shaws statt eines kubanischen Flüchtlings eben ein armer Bauernsohn aus Shantung. Der trägt den Namen Ma Yung Cheng und wird von Chen ohne größere Ausdruckskraft, dafür mit der erforderlichen Arroganz verkörpert. Gemeinsam mit seinem Freund Hsiao Chiang-pei (Cheng Kang-Yeh, „Die Todespagode des gelben Tigers“) versucht er in Shanghai Fuß zu fassen. Dank seiner beispiellosen Kampfkünste steht dem steilen Aufstieg nichts im Wege.

Sein großes Vorbild ist Tan Sze (Shaw Brothers-Ikone David Chiang, „Das Schwert des gelben Tigers“), der die Hälfte der Stadt unter seinem Befehl weiß. Ihm bleibt das Potenzial des Neuankömmlings nicht verborgen und so überlässt er ihm einen Bezirk, als Cheng unwissentlich in dessen Machtkampf gegen Boss Yang (Chiang Nan, „König der Shaolin“) eingreift. Dem ist das forsche und schier unbesiegbare Landei schnell ein Dorn im Auge. Doch gilt es für ihn und seine vier brutalen Getreuen – u.a. Feng Yi („Todesgrüße aus Shanghai“) und Ku Feng („Die Eroberer“) – erst Tan Sze auszuschalten, ehe auch Ma Yung Cheng in einen tödlichen Hinterhalt gelockt wird.

Das von Regie-Legende Chang Cheh („Return of the One-Armed Swordsman“) in Zusammenarbeit mit und Pao Hsueh Li („Das Blut der roten Python“) gedrehte Kampfkunst-Drama besticht durch die opernhafte Inszenierung und die ballettartigen Kampfszenen. Was Hauptdarsteller Chen Kuan-Tai an Ausdruckskraft vermissen lässt, macht er durch Körpereinsatz locker wett. Furchtlos stürzt sich sein ambitionierter Schlagetot in jede Keilerei und schreckt vor keinem Gegner und erst recht keiner Übermacht zurück. Das führt zu üppig auf die Beteiligten geschmiertes Ketchup-Blut und einen Showdown, der sich als einer der erinnerungswürdigsten Höhepunkte in der an Highlights wahrlich nicht armen Shaw Brothers-Historie empfiehlt.

In einem Teehaus wird Chengs Schicksal besiegelt. Dabei setzt es direkt eine Axt in den Bauch, die ihn jedoch nicht davon abhält, Boss Yangs Handlanger ohne Rücksicht aufs eigene Überleben zu klump zu prügeln. Dies fast 15-minütige Scharmützel macht den in der alten deutschen Kinofassung um mehr als 50 (!) Minuten gekürzten Film zu einem der brutalsten im Wirken der Shaws, unterstreicht aber auch das handwerklich ausgefeilte Nebeneinander von Kunstfertigkeit und Exploitation. So zerschellt der Traum vom Reichtum in einem Orkan aus Blut und geschundenen Körpern. Davon kommen einzig die Schutzlosen, wenn neben dem treuen Hsiao auch Sängerin Chin Ling-tzu (Ching Li, „Im Todesnetz der gelben Spinne“) die Landflucht antritt. „Der Pirat von Shantung“ reicht vor allem aufgrund der bisweilen langatmigen Ausbreitung nicht an die ganz großen Genreklassiker heran. Seinen festen Platz in den Annalen der Shaw Brothers hat er trotzdem verdientermaßen inne.

Wertung: 7 out of 10 stars (7 / 10)

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