Das Labyrinth der Wörter (F 2010)

das-labyrinth-der-woerterNichts könnte die Rolle des Einfältigen, des Grobschlächtigen, ja vielleicht sogar die des Zurückgebliebenen so sehr bekräftigen wie eine hünenhafte Statur. Diese Gegensätzlichkeit aus kleinem Geist und großem Körper erhielt in John Steinbecks Romanklassiker „Von Mäusen und Menschen“ entscheidende Prägung. Dieser etwas schlichten Symbolik bedient sich auch Jean Beckers („Dialog mit meinem Gärtner“) Romanadaption „Das Labyrinth der Wörter“. Mit dem entscheidenden Unterschied, dass sie Gérard Depardieu („Mammuth“) in lebensbejahender Manier als gutmütigen Dorftrottel dem Zauber der Literatur erliegen lässt.

Mit milde belächelter Alltagsfreude stapft jener Germain als dickwanstiger Hilfsarbeiter durch das beschauliche südfranzösische Heimatdorf. Dort lebt er in einem Wohnwagen, auf dem Grund der despotischen Mutter (Claire Maurier, „Die fabelhafte Welt der Amelie“), die ihn, mittlerweile dement, Zeit seines Lebens herunterputzte und als Unfall verdammte. Auch die Gemeinschaft im Bistro hält ihm vor, ein Idiot zu sein. Dumm jedoch ist der bullige Mittfünfziger mitnichten. Er ist schlicht Analphabet. Seine liebevolle Freundin, die Busfahrerin Annette (Sophie Guillemin, „Wahnsinnig verliebt“), stört sich daran allerdings wenig.

Eine entscheidende Wendung erhält Germains Leben, als er im Park die gebrechliche 94-jährige Margueritte (Giséle Casadesus, „Ein Sommer auf dem Lande“) kennenlernt. Während er den Tauben Namen gibt, ist die pensionierte Akademikerin ganz in der Welt der Bücher versunken. In diese führt sie den behäbigen Illiteraten zögerlich ein, was ihm neben einer beträchtlichen Erweiterung des Wortschatzes allmählich auch neue Sichtweisen erschließt. Vor diesen zeigt er anfangs eine gewisse Furcht. Doch mit Marguerittes Führung wird die Literatur zum Türöffner in eine völlig neue Welt. Als die Sehkraft der alten Dame schwindet, wird Germain ihr Vorleser.

„Das Labyrinth der Wörter“, basierend auf dem Buch von Marie-Sabine Roger, beschreibt die Wandlung der Figuren frei von pädagogischem Antrieb. Jean Becker erzählt die Geschichte mit Humor und Elegie und trübt den streng positivistischen Kern nicht durch die tragischen Nuancen. Germains schwere Kindheit und das gespaltene Verhältnis zur Mutter, deren Liebe aber schlussendlich doch noch aufblitzen darf, werden bestenfalls angerissen. Im Zentrum steht die platonische Beziehung zwischen den scheinbar grundverschiedenen Parkbankbekanntschaften. Aus ihr erwächst eine stets leise Ode an die Kraft der Literatur und gleichsam ein Plädoyer für die Würde des Alterns.

So simpel wie es klingt, wird der Film letztlich auch abgehandelt. Die Entwicklung Germains und der Ausbruch aus der ihm gesellschaftlich Zeit seines Lebens zugeschriebenen Rolle bleibt nicht frei von Selbstzweifeln und dem Unverständnis seiner Mitmenschen. Trotzdem kehrt Becker stets zum watteweichen Gutmenschentum zurück, das die Essenz der leicht zu goutierenden Botschaft beständig mit Plüsch ausstopft. Bei aller Gelassenheit bleibt am Ende ein konventionelles Rührstück, das durch die Erhabenheit der Hauptdarsteller und nicht zuletzt ihr berührendes Zusammenspiel funktioniert. Vor einer gewissen grundlegenden Banalität schützt diese Stärke allerdings nicht.

Wertung: 6 out of 10 stars (6 / 10)

 

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