Das große Rennen von Belleville (F/BE/CAN 2003)

das-grosse-rennen-von-bellevilleAbseits des typischen Disney-Schmonzes schleicht sich mit „Das große Rennen von Belleville“ ein kurioser Trickfilm in die bundesdeutschen Programmkinos. Der verzichtet auf gern eingebrachte Stilmittel wie ein moralisch einwandfreies Fundament und kindgerechte Charakterzeichnung und erzählt stattdessen die tragikomische Leidensgeschichte eines potentiellen Außenseiters. In grotesken Bildern wird das Schicksal des dicklichen Jungen Champion erläutert, der im Frankreich der 30er Jahre elternlos bei seiner fürsorglichen wie gestrengen Großmutter Souza aufwächst. Neben seinem Hund Bruno begeistert sich die einsame Waise einzig für den Radsport, was unter Omas harter Hand für einen späteren Sieg der Tour de France bürgen soll.

So strampelt und rackert sich Champion tagein tagaus ab, bis kein überflüssiges Gramm Fett mehr den schmächtigen Körper samt seiner überproportionierten Waden besudelt. Als der große Tag des Rennens schließlich gekommen ist, wird Champion kurzerhand von kantigen und halslosen Mafiosi in die ferne Großstadt Belleville entführt. Doch haben die Drahtzieher des Menschenraubes ihre Rechnung ohne die gehbehinderte Souza gemacht, die ihrem gefangenen Enkel nebst übergewichtigem Hund nachreist und unter tatkräftiger Mithilfe eines verschrobenen Sangestrios die Unterwelt Bellevilles aufmischt.

Diese obskure Odyssee durch die von New York sichtlich inspirierte Metropole Belleville besticht sowohl durch ihre hintergründige Ironie, als auch durch ihre individualistische und vor Metaphorik berstende Bildsprache. Zugleich verstört der Film durch die fast völlige Abstinenz gesprochener Worte und unbeschwerter Heiterkeit. Die als Identifikationsmodelle kaum befähigten Figuren sind scharfkantig wie Rasiermesser gezeichnet und umgeben von einer spürbaren Aura der Melancholie. Verantwortlich für dieses bemerkenswert düstere und beinahe pessimistische Werk ist der Franzose Sylvain Chomet, der nach seinem mit Preisen überhäuften Kurzfilm „The Old Lady and the Pigeons“ in diesem Jahr für „Das große Rennen von Belleville“ erneut für den Oscar nominiert wurde.

In Personalunion von Autor und Regisseur bläst er zur Rettung des tieftraurigen Phlegmatikers Champion und lässt groteske Übersteigerungen immer neuerliche Höhen erklimmen. Der schwermütige Grundton zieht sich wie ein roter Faden durch den gesamten Film und kann nicht einmal das turbulente Finale aus den Klauen der atmosphärischen Depression entreißen. Ganz und gar abseitig des gewohnten Rahmens konformer Trickfilmkost kreiert der 41-jährige Chomet eine perfekte Nuance des Nihilistischen, eine bewegende Ode an die Traurigkeit und obendrein ein Bollwerk des gezeichneten Bildablaufes gegen die Übermacht computergesteuerter Animationen.

Surreal und von enormer Ausdruckskraft, bildet „Das große Rennen von Belleville“ den verschachtelten Albtraum einer jeden Micky Maus, ein ergreifendes Werk voller Originalität und exzentrischer Untertöne. Das einhellige Wohlwollen der Kritiker dürfte sich im Angesicht dieses schwer verdaulichen künstlerischen Experimentes jedoch nur mühsam auf das Publikum übertragen lassen, schüren die von Chomet aufgezeigten Inhalte doch lediglich auf schmalem Grat den Glauben an das Gute im Menschen.

Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

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