Der blinde Teufelsadvokat Matt Murdock bzw. sein alter Ego „Daredevil“ hat in Deutschland nie die Popularität anderer Marvel-Kollegen genießen können, etwa die der freundlichen „Spinne aus deiner Nachbarschaft“ oder der Homo Superior um Professor X. Matt Murdock ist ein äußerst ambivalenter Charakter. Tagsüber ein engagierter Anwalt, der auch mal einen Fall verliert, so dass manch ein Bad Guy der gerechten Strafe entkommen kann – was nicht unbedingt für jeden von ihnen immer ein Grund zur Freude sein muss. Denn nachts ist unser Matt im engsten roten Leder unterwegs und verkloppt alles, was nur kriminell anmutet. Das männliche Pendant zur blinden Justitia räumt demnach zweifach mit den Abschaum auf.
Die weniger ruhmreichen Helden dem Hause Marvel [„Ghost Rider“, „Punisher“, „Hulk“, „Blade“ und etliche andere] waren nie eine ernsthafte Konkurrenz für „Spider-Man“ oder die „X-Men“, im Comic nicht und auf der Leinwand noch weniger. Die drei Erstgenannten durften das in bisher mittlerweile fünf schwachen Filmen beweisen, wobei auch die „Blade“- Fortsetzungen nicht unbedingt als Aushängeschild von Qualität zu bezeichnen wären. Doch lasset uns hineinstürzen in das neue Abenteuer eines weiteren Kämpfers für das Gute und Gerechte, in der Verfilmung einer meiner Lieblingsvigilanten – Daredevil, der Dämon, der Mann ohne Furcht, ein richtiger Teufel unter den Superhelden!
Matt Murdocks Augen sehen immer nur Finsternis – doch diese Finsternis ist erfüllt von Klängen, Gerüchen, geschmacklichen Feinheiten und Oberflächenstrukturen, die die meisten Menschen nicht einmal wahrnehmen. Seit der Kindheit durch einen Unfall erblindet, funktionieren seine anderen vier Sinne mit übermenschlicher Präzision. Von dem geheimnisvollen Kämpfer Stick lernt er diese optimal einzusetzen, um tagsüber als Anwalt, nachts jedoch als Daredevil die dunklen Straßen New Yorks als ruheloser Vertreter der Gerechtigkeit zu durchstreifen.
Der erste Schock ist Ben Affleck als Daredevil. Ben Affleck?! Das Ex-Accessoire von J.Lo, der Tante aus „Anaconda“?! In den Filmen von Kevin Smith ist er noch erträglich [zugegeben, auch in „Hollywoodland“ macht er seinen Job als Goerge Reeves/Superman ganz gut], aber als tatsächlich fightender Ass-Kicker? Ein klares NEIN. Nebenbei gesagt, auch als Anwalt nimmt man ihm seine Performance kein Sekündchen lang ab. Allgemein ist der Cast ein großes Problem des Films. Michael Clarke-Duncan („The Green Mile“) ist ein toller Schauspieler, als Wilson Fisk/Kingpin allerdings leider auch nicht besonders gut in Szene gesetzt.
Einfachste Begründung: Kingpin ist im Comic kein Afroamerikaner. Und nerdigste Comicfreaks achten eben auf bestmöglichste Authentizität, wenn einer ihrer Idole für die großen Bildschirme adaptiert wird. Und Matts Nemesis #2, Bullseye, ist im Comic beileibe nicht so hektisch und zippelig wie Colin Farrell („Tigerland“) es uns weiß machen möchte. Über seine ´Verkleidung´ wollen wir uns gar nicht auslassen – da sie einfach nicht vorhanden ist. Die hässliche Lederjacke hat er fast in jeder Szene an, und das dämliche Geritze an seiner Stirn, das wohl eine Zielscheibe darstellen soll, ist einfach nur lächerlich. Zwar erwähnt der [fast] immer treffende Bullseye, dass er ebenso gerne „so ein Kostüm“ hätte, allerdings kommt es im Film nicht mehr dazu.
Positives gibt es allerdings auch zu berichten. Elektra Natchios „Alias“ Jennifer Garner! Eine Kampfamazone aus dem Bilderbuch: sexy, tough und schlicht ein Eye Candy. Die Nebenrollen sind ganz passabel: Jon Favreau [der Regisseur von „Iron Man“] als Murdocks Sidekick vor Gericht, Franklin „Foggy“ Nelson, und Joe Pantoliano („Matrix“) als der neugierige Reporter Ben Urich, sind zwei sympathische Dudes, alles andere als negativ auffallen. Nett sind auch die Cameos der Comicautor-Giganten Frank Miller und Kevin Smith, die beide schon für kongeniale Abenteuer des blinden Helden auf dem Papier gesorgt haben. Und natürlich – der Großmeister Stan „The Man“ Lee lümmelt sich auch mal durch die Szenerie. Eine Marvel-Comicverfilmung ist ohne den obligatorischen Kurzauftritt des Demiurgen praktisch undenkbar.
Der Storyaufbau von „Daredevil“ ist als einer der größten Minuspunkte des Films zu bezeichnen. Ein Klischee reiht sich an das nächste, die obligatorischen Ursprungs – und Lovestories, die dramatische „der Held verliert alles, was ihm lieb ist“ Tragödie bis hin zum Showdown mit dem Paten von New York höchstpersönlich. Apropos Kingpin, dem heimlichen Don der New Yorker Unterwelt. Absolut nervig ist der glorreiche Einfall, dass dieser höchstpersönlich Matts Vater über den Jordan geschickt hat. Im Comic ist das natürlich nie so geschehen. Unser Held ist motiviert genug, das Übel und die Schrecken der allumfassenden Plage, die die kriminellen Mächte verursachen, zu bekämpfen, da er tagtäglich im Gerichtsaal Zeuge davon werden darf, wie korrupt sogar der Justizapparat selbst geworden ist. Diese, durch den Vatermord eingebaute persönliche Bindung des Helden an den Antagonisten ist ein billiger MacGuffin, der hier in keinster Weise funktioniert.
Dass die Charaktere eines [Action-]Films, der auf einem Comic basiert, nicht unbedingt immer nur den genretypischen Schablonen entsprungen sein müssen, haben Sam Raimi, Guillermo del Toro und Christopher Nolan mit ihren [bisherigen] Genreperlen um den Netzschwinger, den roten Höllenjungen und den Dunklen Ritter aus Gotham meisterhaft bewiesen. Mark Steven Johnson, der Regisseur des ersten Abenteuers des blinden Kämpfers für Gerechtigkeit, ist leider ein anderes Kaliber von Filmemacher. Es hätte denn auch einem Wunder geglichen, wäre „Daredevil“ eine Glanzleistung des seit einigen Jahren anhaltenden und allseits beliebten Comicverfilmungswahns geworden.
Was den Actionanteil angeht, so gibt es auch nicht unbedingt erfreuliches zu berichten, auch wenn es mehr als genug Gekloppe gibt. Die vielen Kämpfe sind, wie für ein Projekt dieser Massenordnung erwartet, makellos choreographiert. Nichtsdestotrotz lädt keine einzige Kampfsequenz zum Staunen ein, da all dies schon x-mal in ähnlichen und anderen Streifen gesehen wurde. Innovation gleich Null. Der Reihe vieler nicht gelungener Comicverfilmungen entkommt „Daredevil“ damit nicht. Man hätte das gegebene Potenzial der Reihe besser nutzen können, so in etwa den elegischen inneren Kampf des Helden mit sich selbst, seine Selbstzweifel betreffend, ob Selbstjustiz eventuell ein Verrat seiner Ideale ist.
Fairerweise muss eines noch gesagt werden: Der im Nachhinein erschienene „Director´s Cut“ [in einer sehr schnieken „Century³ Cinedition“, die es mittlerweile schon für wenig Schotter zu bekommen gibt], der knappe 30 Minuten [!] mehr Filmmaterial zur Schau stellt, leuchtet die Charaktere und ihr Handeln um einiges besser aus, als die Kinoversion. Doch auch diese Fassung, wenn auch um Längen besser als der Kino Cut, ist kein Vergnügen, das gern in Erinnerung zurück bleibt. Im Gegensatz zu Jennifer Garners Outfit!
Wertung: (5 / 10)