Abseits von TV-Reihen und Kinowerken wurde die japanische Zeichentrick-Kunst in den Neunzigern über sogenannte OVAs (Original Video Animation) verbreitet. Diese für den Videomarkt gedrehten Filme oder Mini-Serien verfügten oft über ein größeres Budget als vergleichbare Fernsehproduktionen und ermöglichten somit eine aufwändigere technische Umsetzung. Auch für das populäre Madhouse Animationsstudio („Robotic Angel“) bedeuteten solche Animes ein lukratives Zubrot. Einer davon ist der Dreiteiler „Cyber City Oedo 808“, der in gewohnter Manier Science-Fiction mit Cyberpunk-Action mixt.
Japan im Jahre 2808: Um das Chaos in der Metropole Oedo einzudämmen, werden verurteilte Kriminelle als Verbrechensbekämpfer angeheuert. Für erfolgreich abgeschlossene Aufträge werden sie mit Strafminderung belohnt. Im Zaum gehalten werden die Cyber-Ermittler von speziellen mit Sprengstoff versetzten Halsbändern, deren Fernzündung unweigerlich den Tod bedeutet. Zu diesen Ordnungshütern gehören der zynische Draufgänger Sengoku, Computerspezialist und Kraftpaket Gogal sowie der nahkampferprobte Transvestit Benten. Ihnen widmet Regisseur Yoshiaki Kawajiri („Wicked City“) je eine der drei 45-minütigen Folgen als Hauptfigur.
Zum Auftakt („Virtual Death“) bekommt es Sengoku mit einem vermeintlichen Terroristen zu tun, der 50.000 Menschen in einem vollautomatisierten Hochhaus gefangen hält. Als der Computer-Hijacker im Wolkenkratzer geortet wird, stößt Sengoku auf die Spur eines vor Jahren spurlos verschwundenen Ingenieurs und muss sich einer auf Rache sinnenden Macht stellen, die mit dem Hauptrechner verwachsen scheint. Dieser schwächste Part der Trilogie dient anfangs noch der Vorstellung der Figuren, was auch den befehlshabenden Vorgesetzten Hasegawa einschließt, der den Zeitrahmen zur Erfüllung der jeweiligen Mission vorgibt, und lässt im temporeicheren Verlauf monotone Robotergegner und Sicherheitsbarrieren gegen die Helden zu Felde ziehen.
Atmosphärischer und actionbetonter geht es im schmissigem Mittelteil („Psychic Trooper“) zu: Darin bekommt Gogal, der Hüne mit Irokesenschnitt, von seiner alten Komplizin Sara Datensätze eines geheimen Militärprojekts zugespielt. Der Konzern Isaka Heavy Industries hofft durch die Fusion von menschlichen und technischen Bauteilen auf die Erschaffung eines Cyborg, den parapsychologische Kräfte mit zusätzlichem Gefahrpotential ausstatten. Im sehenswerten Showdown muss sich der als Versuchskaninchen auserkorene Gogal mit dem Psychic-Terminator auf einem Funkturm duellieren und dem Machtstreben der Militärs einen Riegel vorschieben.
Die abschließende Episode („Blood Lust“) mischt betulich wie emotional Gothic-Horror mit Sci-Fi-Action, wenn Benten als Vampirjäger einer nach Unsterblichkeit lüsternen Kreatur nachstellt. Anlass zur Sorge bereiten verschiedene Genforscher, die blutleer und mit Bisswunden am Hals aufgefunden werden. Der Schlüssel zum Geheimnis liegt in der Verbindung einer mysteriösen jungen Frau und eines greisen Unternehmers, deren Spur Benten bis zu einer kryogenischen Gruft in den Weltraum verfolgt. Dort muss er sich dem (scheinbar) unbesiegbaren Schrecken in einem ungleichen Zweikampf entgegen stellen.
Das phantastische Ambiente einer entarteten Zukunft beschert den einzelnen Folgen eine atmosphärisch stimmige Grundierung. Die Cyber-Polizisten werden nur grob charakterisiert und erhalten ihr Unterscheidungsmerkmal allein durch die eigenwillige optische Gestaltungsweise und die Vorliebe für bestimmte Waffen. Die Animationen sind eher durchschnittlicher Natur und ohne konstanten Fluss. Im Zusammenwirken mit den nicht immer detailreichen Hintergründen der Megalopolis Oedo steht „Cyber City“ damit etwaigen TV-Produktionen näher als andere OVAs. Wer sich daran aber nicht stören mag, erlebt ein oberflächlich actionbetontes Mini-Serial, dessen stattlicher Unterhaltungswert die optischen Schwächen locker ausgleicht. Für Anime-Fans definitiv einen Blick wert.
Wertung: (6,5 / 10)