Virales Marketing ist die Zauberformel konstruierter Kinohypes. Es ist das Spiel mit Erwartungen, bröckchenweise preisgegebenen Informationen und der Verselbständigung der Internetkommunikation. Wie ein Virus breitet sich die Freude an der Spekulation, die Suche nach Indizien aus. Am Ursprung stand ein Filmteaser, bei dem eine Partygesellschaft von einer Handkamera eingefangen wird. Ein paar hektische Einstellungen und spitze Schreie später rollt der Kopf der Freiheitsstatue durch die Straßen von New York. Einen Namen gab es nicht. Nur ein Datum: 1.18.08. Eine gleichnamige Internetseite, auf der lediglich ein Foto zu sehen war, brachte die Lawine ins Rollen.
Der Mann hinter der Kampagne, bei der die Zielgruppe in Blogs, Foren und Fanseiten die Arbeit der PR-Spezialisten übernimmt, ist Produzent J.J. Abrams. Bereits mit der TV-Sensation „Lost“ bewies er ein untrügliches Gespür für die Faszination des Mysteriösen. Oft mit banalen Mitteln. Sein Kinoprojekt, dem letztendlich der unscheinbare Titel „Cloverfield“ anhaftet, ist der Spiegel der Generation YouTube. In einer Zeit, in der faktisch jedes persönliche Detail in selbstgedrehten Schnipseln ins World Wide Web gespeist wird, entspricht die Machart des Streifens der Alltagskultur. In abrupten Schnitten und verwackelten Bildern wird der Zuschauer Teil der Handlung. Ob er will oder nicht.
Chaos und Zerstörung gehen auf eine fremde Kraft zurück, die so lange ihren Schrecken wahrt, wie sie unsichtbar bleibt. Sie schlägt eine Schneise der Verwüstung durch die Stadt und zwingt die Menschen in panischer Angst zur Flucht. Auch die aus dem Teaser. Da ist Rob (Michael Stahl-David, „Uncle Nino“), der vor der Abreise nach Japan seinen Abschied feierte. Nun rennt er auf der Suche nach seiner im Tumult verlorenen Liebe Beth (Odette Yustman, „Remembrance“) durch die Apokalypse. Ein Freund hält die Ereignisse mit einer Videokamera fest. Die Perspektive des Films ist die der Protagonisten. Mehr als sie sieht auch der Rezipient nicht. Das zeigt Wirkung.
Zeit zur Vorstellung bleibt kaum. Gerade eingeführt, verwandeln sich die Gesichter in verzerrte Fratzen. Ist das der Untergang? Nicht umsonst ist der Schauplatz New York. Ein weiterer Ground Zero, in dem sich sämtliche Alptraumszenarien der 9/11-Ära wiederfinden. Die aufwändigen Spezialeffekte sind in die um Authentizität buhlende Optik integriert. Da bersten Gebäude, erhellen Explosionen die Nacht. Soldaten rücken an, schweres Kriegsgerät im Gepäck. Es ist Krieg, es herrscht Ausnahmezustand. Die Flucht wird dokumentiert, als wäre dies letzte Andenken der Trotz des nahenden Todes. Das packt, nicht nur bei der atemlosen Hetzjagd durch dunkle U-Bahn-Schächte.
Abrams und Regisseur Matt Reeves gelingt es, ihr Publikum in die Sitze zu pressen. Die Strategie geht auf, wenn „Cloverfield“ auch nicht die Revolution des Unterhaltungskinos ist, sondern „nur“ ein clever aufgezogenes Monster-Movie. Denn gänzlich befriedigt wird die Erwartung des Besonderen nicht. Da ist ein grauer Koloss mit langem Schwanz, riesigem Maul und parasitärem Anhang. Er schafft Eindruck, in seiner Unberechenbarkeit gar Beklemmung. Wirklichen Anteil am Schicksal der Figuren nimmt man nicht. Die emotionale Komponente kommt im Sturm der Ereignisse einfach zu kurz. Auf sie kann der vorprogrammierte Erfolg aber getrost verzichten.
Wertung: (7 / 10)