Chatroom (GB 2010)

chatroom-2010Das Internet ist Fluch und Segen der modernen Gesellschaft zugleich. Informationen können in Echtzeit übertragen und (potenziell) ohne Barrieren an die Zielgruppen übermittelt werden. Die technischen Möglichkeiten sind enorm, ihre Schattenseiten jedoch unverkennbar. Das weltweite Netz kann nicht nur zur sozialen Isolierung führen, es ist auch eine Plattform für perfide Neigungen, die sich durch die Anonymität der Nutzer nahezu zügellos ausleben lassen. An dieser Diskrepanz ist Hideo Nakatas Thriller „Chatroom“, basierend auf dem Theaterstück Enda Walshs, die auch das Drehbuch schrieb, allerdings wenig gelegen. Er versucht vielmehr den virtuellen Raum visuell rauschhaft erfahrbar zu machen.

Nakata, der den modernen japanischen Horrorfilm mit „Ringu“ maßgeblich geprägt hatte, legte mit der optisch einfallsreichen, inhaltlich jedoch flachen Fortsetzung zum Hollywood-Remake des Welterfolgs um ein geisterhaftes Videoband sein US-Debüt vor. Das war 2005. Sein zweites Werk in englischer Sprache drehte er aber nicht in Amerika, sondern in England, und nutzt die Kontroversen des Diskurses über das Internet für einen konventionellen Psychotrip in unkonventioneller Aufmachung. Denn der Hauptteil der Handlung spielt sich im Netz ab, in Foren, in Chatrooms. Nicht allein für Ausstatter und Set-Designer eine echte Herausforderung.

Das World Wide Web wird zum Hotelflur, die einzelnen Räume zu Web-Portalen und Interaktionsplattformen. Hinter verschlossenen Türen werden psychisch labile Nutzer in den Selbstmord getrieben oder begeben sich Pädophile auf die Suche nach pervertierter Stimulierung. Hier eröffnet William (Aaron Taylor-Johnson, „Kick-Ass“) den Chatroom ´Chelsea Teens!´, in dem er mit Eva (Imogen Poots, „28 Weeks Later“), Jim (Matthew Beard, „An Education“), Emily (Hannah Murray, „Skins“) und Mo (Daniel Kaluuya, „Psychoville“) bald regen und freundschaftlichen Kontakt pflegt. Doch der vermeintlich einfühlsame Moderator ist ein manipulativer Soziopath, der das Vertrauen seiner Internetbekanntschaften unter dem Deckmantel gut gemeinter Lebenshilfe missbraucht.

Die eigenwillige Regie Nakatas und das sehenswerte Spiel der Jungdarsteller gestalten das filmische Experiment grundlegend packend. Allerdings steht der versponnenen Erzählung, die auch aus dem optischen Kontrast zwischen virtuellem Raum und Realität ihren Reiz schöpft, neben ihrem vorhersehbaren Fortlaufen auch die mangelnde Distanz entgegen. „Chatroom“ zelebriert das Netz bisweilen als anarchischen Raum und befeuert damit zwangsläufig die Debatte um dessen zerstörerische Kraft, ohne eine klare Position zu vertreten. Dass sich die Gruppe letztlich auch in der realen Welt gegen William wendet, macht es in der formelhaften Gegenüberstellung von Moral und Machtstreben nicht eben besser. So stehen Faszination und Zwiespalt eng verzahnt beieinander. Nur ist Provokation eben nicht alles.

Wertung: 6 out of 10 stars (6 / 10)

 

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