Breaking Bad (Season 1 – 5) (USA 2008 – 2013)

breakingbad„What I do I do for my family.“ – Walter White

Es heißt, allein die gute Absicht zähle. Sollte das wirklich zutreffen, Walter White wäre ein Heiliger. Aber das ist er nicht. Er ist ein Krimineller, getrieben von Machtverlangen und dem unbedingten Streben nach einer Art kosmischem Ausgleich für erlittenes Unrecht. Es ist diese typische Denke, man wäre eigentlich zu Höherem geboren, müsste doch so viel mehr sein – und dürfte keinesfalls zu einem Schicksal verdammt sein, dass einen als Chemielehrer in New Mexico stranden lässt, mit furchtbar unmodischem Schnurbart und Unterwäsche, die so weit von Sex Appeal entfernt liegt wie die Erde vom Mars.

Und dann auch noch die niederschmetternde Krebsdiagnose. Lungenkrebs. Mit ihm kommt die Angst. Weniger vor dem Tode, als vielmehr der Zukunft der Familie. Dort greift die gute Absicht. Denn jener höchst unscheinbare, in der Gesellschaft fast unsichtbare Walter White sucht nach einem Weg, den Lieben über seinen Tod hinaus ein sicheres Leben zu verschaffen. Erreichen will er dies durch Chemie, respektive die Herstellung von Metamphetaminen. Walter beherrscht Elemente und Verbindungen aus dem Effeff und schafft Crystal Meth von nie dagewesener Reinheit. Doch so ehrbar das Motiv, so paradox der Plan. Denn dem Ziel, der eigenen Familie finanzielle Sorgenfreiheit zu bescheren, steht die Zerstörung von Existenzen gegenüber. Vielen Existenzen.

Es ist nicht allein diese Ambivalenz, die „Breaking Bad“ aus dem Stand zu einem Klassiker des amerikanischen Bezahlfernsehens machte. Schließlich reicht eine gute Geschichte allein nicht aus. Es braucht realistische Figuren, glaubhafte Charakterentwicklungen und nicht zuletzt Darsteller, die bereit sind an die Grenzen des Zumutbaren zu gehen. Bryan Cranston, der als Vater in „Malcolm mittendrin“ bekannt wurde, trauten viele genau dies nicht zu. Nach dem furiosen, niederschmetternden und trotz erwartbarem Ausklang denkwürdigen Finale der für AMC produzierten Serie – nach fünf Staffeln und insgesamt 62 Episoden – ist längst klar, dass Cranston im TV-Olymp angekommen ist und einen festen Platz neben wegweisenden Anti-Helden wie Tony Soprano oder Vic Mackey einnimmt.

„You know the business and I know the chemistry. I’m thinking… maybe you and I could partner up.“ – Walts Rekrutierung von Jesse

Vor der hochschwangeren Gattin Skyler (Anna Gun, „Deadwood“), dem behinderten Teenagersohn Walter Jr. (RJ Mitte) sowie Skylers Schwester Marie (Betsy Brandt) nebst Ehemann Hank Schrader (Dean Norris, „Under the Dome“) hält Walt anfangs den Krebs – und erst recht die illegalen Aktivitäten – geheim. Dramaturgische Würze erhält der Plot dadurch, dass Hank Beamter bei der Drogenfahndung ist. Doch was auf den ersten Blick konstruiert und plump wirkt, wird von Serienschöpfer Vince Gilligan (2013 mit dem Primetime Emmy for Outstanding Drama Series geadelt) und seinem Autorenteam ohne jede Flachheit auserzählt. Apropos Konsequenzen, um solche schert sich Walt nur anfänglich und blüht bei aller Aufopferungsbereitschaft für die Familie in der zunehmend entfalteten kriminellen Energie buchstäblich auf. Entsprechend kennt er bei der Ausweitung seines Machtbereichs bald keine Skrupel mehr.

breakingbadwaltjesseSein Assistent und Partner wird Jesse Pinkman (Aaron Paul, „Last House on the Left“), ehemaliger Schüler in einer seiner Klassen und notorischer ´Underachiever´. Der ambitionslose, drogenabhängige Slacker lässt sich einspannen und manipulieren. Über die fünf Staffeln entspinnt sich ein seltsames Verhältnis, bei dem Walt quasi Ersatzvater des sensiblen Jesse wird, seine Verantwortung jedoch immer wieder ausräumt, um über streng egoistische Entscheidungen den eigenen Vorteil zu sichern. Walt erschafft das verbrecherische Über-Ich Heisenberg (nur echt mit Hut!), das zum Inbegriff des Abstiegs in immer tiefere moralische Niederungen wird. Doch der am Ende alles verzehrende Mahlstrom ist hausgemacht. Denn die Abkehr vom verwerflichen Treiben scheint wiederholt möglich.

Zuerst kochen er und Jesse in einem alten Wohnmobil synthetische Drogen. Auf der Suche nach einem Vertriebspartner geraten sie an Tuco (Raymond Cruz, „Training Day“), dessen Skrupellosigkeit sie schnell um ihr Leben fürchten lässt. Die Familie weiht Walt schließlich in seine Krebserkrankung ein und schiebt als Gönner für die Begleichung der Behandlungskosten seine alten Geschäftspartner Elliot (Adam Godley) und Gretchen Schwartz (Jessica Hecht) vor. Mit ihnen gründete er viele Jahre zuvor ein Unternehmen, das nach seinem Ausstieg ein grandioser Erfolg wurde. Eine der großen Stärken von „Breaking Bad“ ist es, solch scheinbare Kleinigkeiten über die Staffeln hinweg immer wieder aufzugreifen und einzuflechten. Elliot und Gretchen, die sinnbildlich für Walts Gefühl stehen, im Leben ums verdiente Mehr betrogen worden zu sein, erhalten allerdings erst am Ende der finalen fünften Staffel nachhaltige Bedeutung.

„Dude, you are so historically retarded! Nazi zombies don’t wanna eat ya just ‚cause they’re craving the protein. They do it ‚cause they hate Americans, man. Talibans. They’re the Talibans of the zombie world.“ – Voll tiefschürfender Gedanken: Badger

Nachdem Walt und Jesse – mit Unterstützung von Jesses verpeilten, für humorige Zwischentöne bürgenden Kumpanen Badger (Matt Jones) und Skinny Pete (Charles Baker) – erfolglos versucht haben, die Distribution ihres begehrten, bei Hank und Kollegen rasch berüchtigten Produktes selbst in die Hand zu nehmen, bringt der windige Anwalt Saul Goodman (Multitalent Bob Odenkirk, „Saturday Night Live“) die Lösung: Gustavo Fring (Giancarlo Esposito, „Homicide“). Der ist wie Walt für kritische Blicke schier unsichtbar, als sozial engagierter Gönner gar in der Gesellschaft hochgeschätzt. Fring unterhält die Fast Food-Kette Los Pollos Hermanos, deren Vertriebs- und Logistiknetz er für den Transport von Drogen nutzt. Nur widerwillig lässt sich der vorsichtige Hintermann auf die Zusammenarbeit mit Walt und Jesse ein. Sein Schutz ist vor allem Walt willkommen, stellen ihm doch zwei von Tucos Cousins nach, die auf Vergeltung für dessen Schicksal pochen.

Auch wenn „Breaking Bad“ in erster Linie klassisches (Melo-)Drama ist, sorgen die tief verwurzelten Anleihen beim klassischen Gangsterkino für beständige Spannung – und Momente grausamer psychischer und physischer Gewalt. Wie weit Walt bereit ist auf seinem Abstieg in die Kriminalität zu gehen, zeigt sich früh, wenn die Beseitigung eines Drogendealers mit einem Fahrradschloss erforderlich wird. Hinzu kommt das Lügengeflecht, in das er sich wie beiläufig immer tiefer verstrickt, das Skyler erst in die Arme eines anderen Mannes treibt und sie – auch begründet durch wachsende Furcht vor der dunklen Seite Walts – schließlich zu seiner Komplizin bei der Geldwäsche macht. Nur will Walt immer mehr und als er sich Fring entgegenstellt, ist einer der beiden zum Tode verurteilt.

Das faszinierende an der Rolle des Walter White ist die Zerrissenheit, in die er den Zuschauer beständig stürzt. Obwohl sein Tun immer verwerflichere Züge annimmt und er unintendiert immer mehr Menschen ins Verderben reißt – bestes Beispiel ist Jesses Beziehung zu Jane (Krysten Ritter), deren von Walt tatenlos gebilligtes Schicksal eine schockierende Katastrophe heraufbeschwört –, fiebert man mit und hofft insgeheim, dass es vielleicht doch ein Happy End für diesen fehlgeleiteten Familienvater geben könnte, dessen ursprünglichen Motive zwar zwiespältig, aber doch nicht per se böse waren. Aber so steil sich Walts Aufstieg an die Spitze der Macht auch gestaltet, so tief und zerschmetternd gestaltet sich sein Sturz ins Bodenlose.

breakingbadwalt„Jesse, you asked me if I was in the meth business or the money business. Neither. I’m in the empire business.“ – Kriegt den Hals nicht voll: Walt… oder doch Heisenberg?

Spätestens mit dem Cliffhanger von Staffel drei, bei dem Walt auch Kompagnon Jesse moralisch endgültig in den Mahlstrom zerrt, erreicht „Breaking Bad“ eine Intensität wie nur wenige TV-Serien zuvor. Dies Niveau steigert sich noch über ein Tauziehen zwischen Walt und Fring um Jesse, der in Frings rechter Hand Mike Ehrmantraut (Jonathan Banks, „Beverly Hills Cop“) ein deutlich größeres und in sich ruhendes Vorbild findet, als es der egozentrische Walt je sein könnte. Einmal mehr werden dabei Erzählstränge früherer Staffeln aufgegriffen und mit gegenwärtigen verknüpft. Das zeigt sich exemplarisch an Tucos Onkel Tio Salamanca (Mark Margolis, „Scarface“). Der ist nach einem Schlaganfall an den Rollstuhl gefesselt und kann sich lediglich durch betätigen einer Klingel verständigen.

Er ist Teil eines mexikanischen Syndikats, das eng mit Frings Vergangenheit verzahnt ist. Das bringt in sehenswerter Nebenrolle Steven Bauer (ebenfalls bekannt aus „Scarface“) auf den Plan und erlaubt Einblicke in Frings Psyche. Überhaupt werden nicht allein die (beständigen) Hauptfiguren, sondern auch die scheinbaren Nebencharaktere (neben Winkeladvokat Saul gilt das allen voran für Mike) derart plastisch figuriert, dass man kaum umhin kommt, auch an ihrem Schicksal Anteil zu nehmen. Bei aller Ernsthaftigkeit und sämtlicher Sorgfalt, die Gilligan und sein Team in die Ausgestaltung der Geschichte investieren, darf der unterschwellige und oft tiefschwarze Humor nicht unerwähnt bleiben. Denn eine gewisse Genüsslichkeit kann den Machern bei der Inszenierung potenzieller Stolpersteine für Walts kriminelle Operation nicht abgesprochen werden.

Auch wird der Erzählfluss durch aus dem Rahmen fallende Episoden variiert. Exemplarisch dafür stehen Walts und Jesses Stranden in der Wüste, als dem Wohnmobil nach einer frühen Kochsession der Sprit ausgeht oder Walts getriebene, nahezu kafkaeske Jagd auf eine lästige Stubenfliege in Frings hochtechnisierter Drogenküche. In der begegnet Walt dem belesenen Chemiker Gale Boetticher (David Costabile, „Suits“), den Fring als potenziellen Ersatzmann für den stets aufbegehrenden und nach mehr strebenden Heisenberg in der Hinterhand hält. Als Gale längst aus der Geschichte verschwunden ist, bedeutet dessen Widmung in einem Buch, ein Geschenk an Walt, die Kehrtwende und lässt das kriminelle Kartenhaus kollabieren.

breakingbadcast„My name is ASAC Schrader. And you can go fuck yourself.“ – Unkorrumpierbarer Fels in der Brandung: Hank

Im Gegensatz zu anderen wegweisenden Serien, allen voran das grimmige Cop-Drama „The Shield“, bei dem die beschließende siebte Staffel die Protagonisten in schwer verdaulicher Radikalität untergehen ließ, gewährt Gilligan der Geschichte ein moralisch fast konventionelles Ende. In dessen Vorbereitung werden mit Lydia Rodarte-Quayle (Laura Fraser, „Lip Service“), einer gierigen Logistik-Expertin, die Walt beim Transport des charakteristischen blauen Crystal Meth behilflich ist, und Todd (Jesse Plemons, „The Master“), dem gewissenlosen Neffen eines Nazi-Gangsters mit verzweigten Kontakten, zwei der verkommensten Figuren der gesamten Reihe eingeführt. Sie sind Wegsteine von Walts Untergang und mehr noch Projektionsfläche dessen, was aus ihm geworden ist.

Für Walt und auch den nach einem endgültigen Ausstieg suchenden Jesse geht es bald nur noch darum, ihre Spuren zu verwischen. Zwar sieht es bei einem spektakulären Überfall auf einen Schienen-Chemietransport noch so aus, als könnte Walts/Heisenbergs Genialität sie vor allen Gefahren bewahren, der Anfang vom Ende aber scheint längst eingeläutet. Selbst Walts kurzzeitige Abkehr vom kriminellen Milieu, bedingt durch den Anblick seines gewaltigen Vermögens, vermag nicht umzukehren, was längst in Gang gekommen ist. Denn allerspätestens, wenn Walt mit Hilfe von Todds Onkel Jack (Michael Bowen, „Kill Bill“) binnen zwei Minuten eine Gruppe in verschiedenen Gefängnissen inhaftierter Kronzeugen ermorden lässt, scheint seine Seele verloren.

Diese Sequenz ist, wie viele andere auch, brillant inszeniert und unterstreicht die ebenso brutale wie innovative Marke, die „Breaking Bad“ in der an Höhepunkten wahrlich nicht armen jüngeren US-TV-Geschichte gerissen hat. Intensivste und zugleich ergreifendste Episode ist 5.14 („Ozymandias“), die zweifelsfrei als Sternstunde modernen Fernseh-Dramas betrachtet werden muss. Die sich daran anschließenden zwei finalen Folgen erzählen den Plot mit nahezu allen losen Enden – und einem Gastauftritt von Robert Forster („Jackie Brown“) – schlüssig zu Ende. Überraschungen allerdings gibt es kaum mehr. Erwartungen werden erfüllt, Schicksale berührend, clever und/oder blutig besiegelt. Dabei kommt Gilligan einem Happy End so nahe, wie es die Entwicklungen der letzten beiden Staffeln zuließen.

„I did it for me. I liked it. I was good at it. And I was… really… I was alive.“ – Spätes Eingeständnis: Walt

Was bleibt am Ende dieser grandiosen Saga über Macht und Moral? Ist es die Gewissheit, dass die beständig auf höchstem Niveau Anspruch und Unterhaltung verknüpfende Pay TV-Landschaft das Kino längst abgehängt hat? Mit Sicherheit. Aber es ist vor allem die tiefe Anerkennung für Gilligan und sein Team vor wie hinter der Kamera. Denn sie haben Charaktere zum Leben erweckt, mit denen der Zuschauer lachen und leiden kann, deren Entscheidungen nicht allein emotional bewertet werden müssen und an die man sich erinnern wird. Auf zahllosen Listen privat ausgeloteter TV-Evergreens nimmt „Breaking Bad“ jedenfalls schon jetzt einen der vorderen Plätze ein. Auch an diesem Anklang werden sich künftige Fernsehproduktionen messen lassen müssen.

Bryan Cranston, u.a. mit drei Primetime Emmys ausgezeichnet, ist mit der Rolle des Walter White unsterblich geworden. Gleiches gilt für den zweifach Emmy-prämierten Aaron Paul. Sie stellen ein zwischen Loyalität und Sympathie, Missgunst und Verrat zerrissenes Gespann, dem man sich über alle Höhen und Tiefen hinweg konstant verbunden fühlt. In sich wirkt nicht nur ihre Geschichte, sondern die Serie mit all ihren zahlreichen Haupt- und Nebenschauplätzen insgesamt meisterlich auserzählt. Wenn es überhaupt marginale Schwachpunkte gibt, so erschöpfen sich diese in nicht für jeden nachvollziehbaren Entscheidungen und Handlungsweisen tragender Figuren. Ins Gewicht fällt dies jedoch nicht. Zu groß ist die Qualität, zu eindrucksvoll die nur langsam abebbende Wirkung. Größeres Kino auf kleinem Bildschirm ist nur schwer vorstellbar.

Wertung: 9 out of 10 stars (9 / 10)

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