Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit) (USA 2014)

birdman„People, they love blood. They love action. Not this talky, depressing, philosophical bullshit.“ – Birdman

Riggan Thomson (Michael Keaton) hat ein Problem. Eigentlich ist es eine ganze Bataillon an Problemen. Sie alle führen zum selben Ausgangspunkt: dem Streben eines Künstlers nach Anerkennung. Als Superheld Birdman machte er in den Neunzigern Karriere. Was folgte war der Absturz. Die späte Wende soll ein Bühnenstück bringen. Thomson hat einen Roman Raymond Carvers zum Theaterskript umgeschrieben. Er selbst will es am Broadway aufführen und obendrein in einer Hauptrolle glänzen. Doch der Versuch, dem alten Ruhm zu entwachsen und endlich als Allround-Talent wahrgenommen zu werden, wird nicht allein durch die eigene Exzentrik torpediert, sondern auch die Marotten der übrigen Beteiligten.

Was für ein Comeback! Schauspielerisch hatte Michael Keaton wohl niemand mehr auf der Rechnung. Nachdem er als Batman (1989) unter Tim Burton zum Star wurde, war er zwar noch einige Zeit präsent (u.a. in „Vier lieben dich“ und „Desperate Measures“), prägnante Rollen konnte der 1951 geborene Mime aber kaum noch verbuchen. Im neuen Jahrtausend machte sich Keaton zunehmend rar, daran änderten auch kleinere Auftritte im „RoboCop“-Remake oder „Need for Speed“ nichts. Die furiose Rückkehr ins Rampenlicht erfolgte erst unter „Babel“-Regisseur Alejandro González Iñárritu. Der gab dem abgehalfterten Superheldendarsteller in „Birdman“ eine Bühne – und Raum zur leidenschaftlichen Selbstdemontage. Lohn dieser mutigen Performance war eine Oscar-Nominierung als bester Hauptdarsteller.

Als großer Gewinner der diesjährigen Academy Awards triumphierte das großartige Ensemble-Drama in den wichtigen Kategorien Bester Film, Beste Regie und Bestes Originaldrehbuch. Gerecht wird der kunstvolle Film den Engelszungen von Kritikern und Publikum vollauf. Das gilt neben den exzellenten Darstellern vor allem für die Inszenierung. In langen Einstellungen schweift die Kamera um die Protagonisten und verzichtet bisweilen über Minuten auf einen Umschnitt. Das Theater im Film wird so auch auf der Leinwand zur Bühne. Iñárritus größter Verdienst ist es, sein fast ausschließlich auf Dialogen fußendes Werk mit einer erstaunlichen Dynamik zu versehen. Deren fiebrig-flirrende Rastlosigkeit wird auch durch den überwiegend aus Schlagzeugrhythmen bestehenden Soundtrack getragen.

Als Thomsons Hauptdarsteller bei einer Probe ein Scheinwerfer auf den Kopf fällt, muss kurz vor der Premiere Ersatz her. Schauspielerin Lesley (Naomi Watts, „The Impossible“) bringt ihren Ex-Geliebten Mike (ebenfalls Oscar-nominiert und brillant wie lange nicht: Edward Norton, „American History X“) ins Spiel. Nur entpuppt sich der als arroganter Perfektionist, dem die Pistolenattrappe zu unecht wirkt und dem statt Gin während einer Probe besser kein Wasser serviert wird. Der massiven Ego-Kollision zwischen Thomson und ihm folgt ein Zweikampf um den Frontplatz im Scheinwerferlicht. Bald bewegen sich alle Beteiligten – darunter auch Emma Stone („The Help“) als Thomsons frisch aus der Drogenklinik entlassene Tochter sowie „Hangover“-Chaot Zach Galifianakis als dessen Produzent und Anwalt – gefährlich nah am Rande des Nervenzusammenbruchs.

Man diskutiert und disputiert, man schlägt und küsst sich. Der intensive, mit Amy Ryan („The Wire“) und Andrea Riseborough („Oblivion“) bis in die Nebenrollen durchweg exquisit besetzte Seelenstriptease bietet grandioses Schauspielerkino. An dessen Spitze brilliert Michael Keaton, dessen vermeintliches Alter Ego Riggan Thomson Zwiegespräche mit der ihm stets anhaftenden Paraderolle führt. Die klingt als dunkle Stimme aus der Tiefe des Raums wie Christian Bale in den „Batman“-Filmen von Christopher Nolan. Wie sehr Thomson mit Birdman verwachsen ist, zeigt sich an eingebildeten telekinetischen Fähigkeiten und einem Rundflug durchs Stadtbild. Laut und atemlos ist Alejandro González Iñárritus Geniestreich sicher, dabei jedoch glücklicherweise weder auf offensive Komik noch satirische Allgemeinplätzchen aus. Dafür steht auch das Finale, das je nach Interpretationsansatz märchenhaft offen oder eben angemessen bitter ausfällt. Hollywood-Arthouse at its best!

Wertung: 8.5 out of 10 stars (8,5 / 10)

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