Für Filmschaffende erscheint es zunehmend schwer, das Lebensgefühl der Jugend nachvollziehbar abzubilden. Insbesondere der technologische Fortschritt und damit verbunden die ganzheitlichen Vernetzungsoptionen lassen Trends und Entwicklungen in rasend schneller Folge obsolet erscheinen. Die orientierungslose Slacker-Generation X, der u. a. Richard Linklater („Dazed and Confused“, 1993) und Gregg Arakki („Nowhere“, 1997) Zelluloid-Denkmäler setzten, wurde von der Millennial-Generation Y abgelöst. Sie zeichnet(e) sich durch eine grundlegende Skepsis sowie den Drang aus, ihr Umfeld zu verändern. Nicht zwingend zum Wohle anderer.
Mittlerweile sind wir bei der Generation Z angelangt. Mit „Assassination Nation“ versucht Sam Levinson („Another Happy Day“), deren Gefühlswirren in rauschhafte Bilder zu kleiden. Im Zentrum steht eine Jugend, für die Wahrnehmung und Realität vornehmlich von sozialen Netzwerken und der Inszenierung künstlicher Individualität geprägt sind. Die damit verbundenen kulturellen und kommunikativen Ausprägungen genügen jedoch nur für eine Hälfte des Films. Die andere öffnet sich einer anarchischen Gewaltspirale im Stil der „The Purge“-Saga. Auslöser dafür ist eine Reihe von Leaks privater Daten, die das Leben in der beschaulichen Kleinstadt Salem komplett aus den Angeln heben.
Dass in solchen, zwischen Einfamilienhäusern und getrimmten Vorgarten-Rasenflächen befangenen Mikrokosmen reichlich verdrängte Aggression köchelt, ist in Hollywood keine Neuerung. Aber selbst wenn sich die enthemmte Eskalation düster satirisch umgibt, bleibt der Film nur vordergründig am Habitus einer zwischen Hashtag-Sprechblasen und Alkoholeskapaden außer Kontrolle geratenen Jugend interessiert. Schlussendlich treibt Autor und Regisseur Levinson kaum mehr als ein konstruiert provokanter Aderlass ihrer quasi-repräsentativen Abbilder um. Die öffentliche Bloßstellung von Bürgermeister oder Schuldirektor (Colman Domingo, „Fear the Walking Dead“) ist nur der Anfang. Bald trifft es nahezu jeden.
Der Hacker nimmt den Menschen die Anonymität, die trügerische Sicherheit, in Chats schreiben und mit der Handykamera einfangen zu können, was beliebt. Mit den entlarvenden Einblicken in die Intimsphäre einer nicht mit Konsequenzen rechnenden Sozietät bricht rasch das Chaos aus. Wohin das führt, veranschaulicht Levinson gleich zum Auftakt, mit einer schnell geschnittenen Collage aus Sex, Gewalt und Mord. Als Erzählerin fungiert die 18-jährige Lily (Odessa Young, „Looking for Grace“). Sie und ihre drei Freundinnen Em (Sängerin Abra), Bex (Hari Nef, „You: Du wirst mich lieben“) und Sarah (Suki Waterhouse, „Stolz und Vorurteil & Zombies“) werden zu Sündenböcken gestempelt.
Das mündet in einen, u. a. von Lilys gedemütigtem Freund Mark (Bill Skarsgård, „Es“) angestachelten und auch ihren deutlich älteren Verehrer Joel McHale, „Community“) umschließenden Lynch-Mob, der die Girls zur schwer bewaffneten Gegenwehr nötigt. Dabei ist es nicht einmal an der Jugend, das erlittene Unrecht eigenmächtig zu sühnen, auch die Erwachsenen erweisen sich als willfährige Komplizen. Mit flirrenden Bildern, Split-Screens und stilisierter Gewalt ist der von David S. Goyer („Batman v Superman“) produzierte Streifen optisch auf der Höhe der Zeit. Insbesondere vor dem Hintergrund der auf Action und konventionellen Thrill pochenden Zuspitzung erscheint der ätzende Zeitgeist-Kommentar jedoch mehr fadenscheinig als konsequent zu Ende gedacht.
Wertung: (5,5 / 10)