Seine Melheit hat wieder zugeschlagen – und das im wahrsten Sinne des Wortes. Das erste Blut spritzt auf der Leinwand, da sind noch keine fünf Minuten vorbei. Allerdings wird (noch) kein Mensch dahingerafft, sondern ein Tapir von einer Gruppe Mayabauern zu Tode gehetzt. Und wo man schon dabei ist, wird das verendete Tier auch gleich zer- und verteilt. Da lässt es sich Gibson nicht nehmen – ganz in Tradition des guten alten Martin Riggs –, den ein oder anderen Pimmelwitz unterzubringen. Und später (wenngleich nicht viel später) findet sich sogar ein kleiner Kalauer über’s Blasen. Soweit die Unterschiede zu „Die Passion Christi“.
Dies aber nur am Rande. „Apocalypto“ erzählt die Geschichte von Pranke des Jaguar (Rudy Youngblood), einem einfachen Jäger, dessen Dorf überfallen und zur Hälfte ausgelöscht wird. Wer überlebt hat, wird in die nächste Stadt der Maya mehr geschleift als verschleppt, wo ein Teil als Sklaven verkauft, ein anderer als Opfer für die Götter dargebracht werden soll. Als schließlich Pranke des Jaguar das Herz bei lebendigem Leibe herausgeschnitten werden soll, geschieht das Wunder: Eine Sonnenfinsternis rettet den Familienvater und er kann fliehen. Gehetzt von seinen Häschern, will er nur zurück nach Hause und seine Familie retten. Die Jäger kommen jedoch immer näher.
Es ist eine Geschichte, wie sie schon tausende von malen erzählt worden ist. Doch Mel Gibson vermag einmal mehr seine Qualitäten als begnadeter Actionregisseur auszuspielen. Vor allem die Kamera begeistert. Die Bilder sind von einer umwerfenden Pracht und das satte Grün des Dschungels bietet eine kaum zu ersetzende Kulisse für das tiefe Rot des Bluts, das einen großen Teil des Films ausmacht. Denn ganz in der Tradition des Schlachtenepos „Braveheart“ und des Sakralsplatters „Die Passion Christi“ ist Gibson nicht zimperlich bei der Inszenierung. Wo andere Filmemacher den Schmerz der Protagonisten durch Minenspiel inszenieren, legt Gibson nicht nur den Finger in die metaphorische Wunde – er hält vielmehr munter drauf. Trotzdem wirkt die Gewalt nicht so intensiv wie noch in „Die Passion Christi“. Eine derart sadistische Szene wie Jesus’ Auspeitschung findet sich in „Apocalypto“ nicht – nicht einmal, als reihenweise Herzen aus lebenden Körpern geschnitten werden, Köpfe eine Treppe hinunterrollen wie Murmeln oder ein Panter in Nahaufnahme das Gesicht eines Jägers zerfleischt.
Doch trotzdem geht es drastisch zu – vor allem in der zweiten Hälfte des Films. Hier erinnert „Apocalypto“ eigentlich mehr an „Rambo: First Blood“ als an Gibsons vorangegangenes Werk. Pranke des Jaguar gibt als gehetzter (und natürlich bald als eigentlicher Jäger) zwar auch eine Erlöserfigur inklusive Wunde an der Seite und mehrmaliger Wiederauferstehung, er ist allerdings nicht der gewaltlose Märtyerer aus „Die Passion Christi“ und auch nicht der für ein höheres Ziel kämpfende William Wallace. Pranke des Jaguar ist eigentlich nur eins: ein Familienmensch, der zurück zu Frau und Kind will. Und was ihm im Weg ist, das wird beseitigt – mit allen der Gibson’schen Fantasie zur Verfügung stehenden Mitteln. Auf den Sakralspatter folgt so in gewisser Weise der Ethnoslasher. Wenn Mel Gibson jedoch mal keine Action zu inszenieren hat, geht „Apocalypto“ ein wenig die Luft aus. Das ist zwar selten der Fall – meistens gibt es für seine Melheit etwas Aufregendes zu zeigen –, aber gerade in der ersten Hälfte des Films zieht sich einiges. Diese Sequenzen werden nur durch die schon erwähnte brillante Kamera auf ein höheres Level gehoben.
Mel Gibson beweist in seiner vierten Regiearbeit einmal mehr, was sowieso schon bekannt war: Nämlich dass er ein herausragender Actionregisseur mit teils erzreaktionärem Weltbild ist. Die Familie wird in bester christlich-konservativer Tradition als Keimzelle der Gesellschaft in Szene gesetzt, während aus der großen Mayametropole eigentlich nur Schmutz und Böses kommt. Überhaupt erinnert diese Stadt mehr an Bartertown in „Mad Max 3“ als an das Zentrum einer absteigenden Hochkultur. Und dass Gibson nun mal keinen Film ohne mindestens ein Kruzifix irgendwo im Bild drehen kann, dürfte auch niemanden mehr überraschen. Trotzden: „Apocalypto“ ist ein sehr guter Actionfilm, der trotz mancher Längen und der ein oder anderen ideologischen Sollbruchstelle den allergrößten Teil seiner knapp zweieinhalb Stunden in Mayasprache unterhält und fesselt. Mad Mel hat seinen Größenwahn einmal mehr genutzt, um ein beeindruckendes Stück Zelluloid zu schaffen.
Wertung: (7,5 / 10)