Antichrist (DK/S/D/F/I/PL 2009)

antichristLars und die Frauen.

Bei den Filmfestspielen in Cannes, wo Lars von Triers „Antichrist“ gezeigt wurde, fragte man ihn auf einer Pressekonferenz nach den Motiven für sein Werk. Doch der eigenwillige Däne verweigerte sich jeglicher Erklärung. Es sei schließlich der beste Regisseur der Welt. Dieser kauzige Größenwahn, für den andere erst „Titanic“ drehen müssen, entspricht jedoch nicht der Wirkung seiner jüngsten Schöpfung. Nicht der künstlerischen und erst recht nicht der intellektuellen. Die Bilder sind beeindruckend, mitunter wuchtig und doch in unmittelbarer Klarheit fast dokumentarisch. Der Rest ist die Herrschaft des Chaos.

„Chaos reigns“ – in einer unfreiwillig komischen Szene verkündet dies mit entrückt unmenschlicher Stimme ein verletzter Fuchs. Was er in dieser entarteten Horrorvariation des therapeutischen Films verloren hat? Man weiß es nicht. Von Trier jedenfalls offenbarte, er habe den Streifen aus einer depressiven Neigung heraus allein für sich gemacht. Der Zuschauer bleibt außen vor. Noch nicht beim kunstvollen Prolog, der in Schwarz-Weiß und extremer Zeitlupe den geschlechtlichen Akt zwischen Willem Dafoe („Die letzte Versuchung Christi“) und Charlotte Gainsbourg („21 Gramm“) zeigt.

Während das Liebesspiel seinen schier quälend langgezogenen Lauf nimmt, stürzt das Kind der beiden aus dem Fenster und stirbt. Als Psychotherapeut versucht er den aus Verlust resultierenden Schmerz rational zu ergründen. Sie hingegen bricht zusammen. Entgegen des beruflichen Ethos will er seine Frau therapieren und ihren Geist für das Wirkliche, das Rationale schärfen. Er verordnet totale Isolation und bringt sie in jene abgelegene Waldhütte, in der sie von Furcht übermannt die Doktorarbeit abbrach. Doch die Konfrontation mit der Angst wird zur Bedrohung durch die (feminine) Natur.

Über das Für und Wider der von märchenhaften Elementen durchzogenen Plotte lässt sich trefflich spekulieren. Obwohl sie nur schwerlich konventionellen Mustern folgt. Von Trier verweigert sich jeder gängigen Formel, jedem Funken klassischen Erzählkinos wie ein bockiges Kind. Er ist wieder ganz der experimentierfreudige Radikalist, der die Dogma-Doktrin miterdachte und das Kino sklavisch einem Katalog reduzierter technischer Bekenntnisse unterwarf. Von solch visionärer Klarheit ist er mit „Antichrist“, der mehr ein „Antifilm“ ist, jedoch denkbar weit entfernt.

Hin- und hergerissen zwischen abstraktem Experiment und kammerspielartigem Melodram will die rauschhafte Metapher faszinieren und zugleich abstoßen. Im surrealen Zusammenspiel von Form und Inhalt gelingt das bisweilen sogar. Und doch ist der intensiv gespielte Alptraum mit solcher Vehemenz auf Provokation gebürstet, dass die Eskalation des Geschlechterkampfes – mit der selbstzweckhaften Antiklimax genitaler Verstümmelung – ebenso verworren wie überfrachtet wirkt. Zudem muss sich von Trier den Vorwurf eines streitbaren, mehr noch gestörten Verhältnisses zum weiblichen Geschlecht gefallen lassen. Freizügig, kontrovers, explizit; auf seine Art große Kunst – aber ebenso großer Kokolores.

Wertung: 4 out of 10 stars (4 / 10)

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