Ablenkung erscheint in den gegenwärtigen Zeiten relevanter denn je. Ein in der Corona-Pandemie schier undenkbares Szenario stellt ein üppig besuchter Rummelplatz dar – mit kreischendem Publikum, rauschenden Fahrgeschäften und Musik aus dem Leierkasten. Im Verhältnis zum restlichen Inhalt könnten Intro („Attraction“) und Outro („Distraction“) der neuen Platte von ALL ABOARD!, namentlich „The Rules of Distraction“, kaum gegensätzlicher geartet sein. Denn die musikalische Essenz der Mönchengladbacher ist von Punk geprägt, der in seiner relativen Melancholie gern Richtung Rock gebeugt wird.
Dass dieser einen insgesamt prägenden Faktor des Albums markiert, unterstreicht im Grunde jeder Beitrag; einen stimmungsvollen Akzent setzt etwa die Americana-Gitarre bei „Mouth of the Shark“. Neben melodischer Weitschweifigkeit ist die Atmosphäre von „The Rules of Distraction“ vorrangig von mehrstimmigen Gesangsparts geprägt. Diese bewährte Mischung auf den Spuren von RED CITY RADIO & Co. machen Nummern wie „Perfect Stranger“, „Satisfaction“, „Crossroads“, den Sofort-Hit „57 Walnut Street“, „Like Lyrics“ oder „Why Pretend“ zur sicheren Beute für Befürwortende der erwähnten Spielart.
Die benötigt auch diesmal kein hohes (obgleich hier durchweg variables) Tempo. Im Verständnis von ALL ABOARD! überdies auch keine ausufernde Länge. Für das Gros der Tracks veranschlagt der Vierer nämlich kaum mehr als je zwei Minuten. Die Weiterentwicklung ihres Sounds bleibt durchweg spürbar. Das investierte Herzblut ebenso. Ein zwingend spektakuläres Album resultiert daraus nicht. Aber auf ein solches haben es ALL ABOARD! auch keineswegs angelegt. Mehr schon auf zeitgenössischen Karohemd-Punk mit Hang zu bierseligen Mitgröl-Momenten. Und genau diese Art der Ablenkung ist einfach immer willkommen.
Wertung: (7,5 / 10)