Einer der formal herausragenden Regisseure des modernen japanischen Kinos ist Ryuhei Kitamura. Internationales Aufsehen erregte er mit dem launigen Fantasy-Trash „Versus“, mehr noch dem gefeierten Swordsplay-Epos „Azumi“. Eindrucksvoll schafft Kitamura beklemmende Traumwelten und verleiht ihnen bei aller comichaft überstrahlten Gewalt surreale, fast märchenhafte Züge. Sein 2002 inszenierter Science-Fiction-Thriller „Alive – Der Tod ist erst der Anfang“ wurde von Sunfilm/Marketing im rund neun Minuten längeren Director’s Cut und mit üppigem Bonusmaterial als Doppel-DVD neu aufgelegt. Der Blick lohnt dabei auch ein zweites Mal.
Basierend auf der gleichnamigen Comicvorlage des Zeichenkünstlers Tsutomu Takahashi, erzählt der Film die Geschichte des zum Tode verurteilten Mörders Tenshu Yashiro (Hideo Sakaki, „Aragami“). Festgeschnallt auf dem elektrischen Stuhl, die Augen verbunden, wird eine tödliche Dosis Starkstrom durch seinen Körper gejagt. Doch Tenshu überlebt die Exekution. Da diese aber nach Vorschrift vollzogen wurde, unterbreitet ihm der Direktor der Haftanstalt ein dubioses Angebot: Der Verurteilte selbst darf zwischen Leben und Tod wählen, was der vermeintlich Hingerichtete, nachdem er sich zugunsten des vitalen Fortbestandes entschieden hat, bald bereut.
Eingekerkert in einem hermetisch abgeriegelten Gebäudekomplex, erweist sich der psychopathische Schlächter Gondoh (Tetta Sugimoto, „Tokyo Eyes“), der dem Tod auf gleiche Weise entronnen ist, als strapaziöser Zellenkumpan. Die Tage verstreichen, offene Antipathie zerrt an den Nerven der Gefangenen. Ohne es zu wissen befinden sich die beiden Männer im Kernfeld eines perfiden Experiments – und lediglich einer der angespannten Protagonisten kann sich dessen als tauglich erweisen. Als die Schwestern Yurika und Asuka Saegusa (Ryo, „Azumi“ / Koyuki, „The Last Samurai“) in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rücken, gerät das geheime Projekt außer Kontrolle.
Mit seinem zweiten Langfilm entfernt sich Kitamura von den ihm anhaftenden Schwertkampf-Fantasien und offeriert eine futuristische Schauermär in passablem technischem Gewand. Nach der nur zögerlichen Ausleuchtung der Hintergründe öffnet sich das psychologische Kammerspiel fast zu spät einem actionorientierten Finale. Dabei bedient sich der Regisseur beizeiten etwas plump aus dem Fundus wegweisender US-Vorbilder des Schlages „Matrix“ oder „Dark City“. Seine Atmosphäre gewinnt „Alive“ aus der Ungewissheit des verschachtelten Handlungsverlaufs, wobei sterile Digitalbilder die konstante Anspannung erlebbar machen.
Der feste Stamm wiederkehrender Darsteller umfasst neben Hauptdarsteller Sakaki auch Minoru Matsumoto („Versus“) und Tak Sakaguchi („Azumi“). Ironischerweise stehen sich Sakaki und Sakaguchi nach „Versus“ erneut im Duell unter der Direktion Kitamuras gegenüber. Bei der internen Kapitelbetitelung wird dieser Abschnitt denn auch passenderweise mit dem Titel ihres ersten Aufeinandertreffens gleichgesetzt. Dem gediegenen Nonkonformismus aus Fernost fehlt der inhaltliche Feinschliff, um die fast zwei Stunden Länge ohne Durststrecken zu bewältigen. Der Streifen ist überdurchschnittlich, verliert im direkten Vergleich zu anderen Beiträgen des Filmemachers jedoch merklich an Boden. Ein gutes, aber eben kein herausragendes Werk.
Wertung: (6 / 10)