Verkaufszahlen sagen beileibe nichts über die Qualität einer Band aus. Eine deutliche Sprache jedoch sprechen sie als Messgerät des karrieristischen Ist-Zustandes. Spannung wird vor allem dann geschürt, wenn es an die Veröffentlichung des Nachfolgers einer (kommerziell) erfolgreichen Platte geht. Wird sie die Erwartungen erfüllen, gar übertreffen oder schlicht in der Masse untergehen? AIDEN, so viel stand bereits vor Erscheinen ihres dritten Albums „Conviction“ fest, haben ihren Zenit noch längst nicht überschritten.
Die Schminkgesichter aus Seattle starteten nach der Verpflichtung durch Victory Records voll durch und lieferten mit dem Labeldebüt „Nightmare Anatomy“ einen veritablen Soundtrack für die zweifelnde Jugendkultur ab. Ihr Entwurf des Emo-Hardcore bot keine Neuerungen, wusste aber durch sattsam ins Hirn gefräste Refrains und hohes Tempo zu gefallen. Den Nachfolger stellte die „Rain in Hell“-EP, eine Enttäuschung, weil der Ausbruch aus dem selbst auferlegten Kosmos nicht recht funktionieren wollte. Zünglein an der Waage ist also „Conviction“ – und der Ausschlag zugunsten des jungen Quintetts könnte kaum deutlicher ausfallen.
AIDEN gelingt, was nach dem gescheiterten „Rain in Hell“-Experiment kaum mehr für möglich gehalten werden konnte: Sie überzeugen jenseits des Hardcore. Dem inflationären Emo-Gewimmer wird eine klare Absage erteilt und der konsequente Schritt in Richtung des streng massenkompatiblen Düster-Rocks vollzogen. Die glasklare Produktion hat die Ecken und Kanten wohlweißlich abgeschliffen und Reibungsflächen vermieden. So ist die Platte gegenüber den Vorgängern merklich geglättet. Sicher kann man sich daran stören, muss es angesichts der arg verspielten und sich im Überschlag atmosphärischer Schnörkel suhlenden Songs aber nicht zwangsläufig.
Mit überraschendem Einfallsreichtum und den Chorälen einer schwarzen Kapelle besingen Frontmann wiL und seine Mitstreiter Herz- und Hirnschmerz. Dabei geht es erstaunlich ruhig, nicht selten sogar poppig zu. Doch gerade wenn man glaubt, AIDEN hätten das Krachschlagen verlernt, donnert das Schlussdrittel wie ein heimlich aufgezogenes Gewitter über den Gesamteindruck hinweg. Bei allem Piano-Einsatz, bei allem üppig aufgetragenen Kitsch, klingt „Conviction“ nicht abgedroschen, sondern überraschend frisch. Die Anleihen bei AFI sind überdeutlich, halten die fähigen Epigonen allerdings nicht davon ab, ihre ganz eigene Version des morbiden Grusel-Rocks aufzuziehen.
Mit ihrem jüngsten Werk erfindet sich das zunehmende Aushängeschild einer Szene neu, die ihre Glaubwürdigkeit durch fahl geschminkte Künstlichkeit rigoros ausschaltet. Diese Attitüde kann man getrost verächtlich finden, jedoch sollte es nicht den Blick für die Musik trüben. Und die zeigt sich inspiriert und angenehm unverkrampft. Dass dabei längst nicht jede Idee vor schalem Beigeschmack gefeit ist, sei den gepuderten Jungs verziehen. Sie spannen ihre respektable Weiterentwicklung als überlebensgroße Oper auf einen morbiden Rahmen. All die hartnäckigen Spötter lassen sich damit wohl kaum umstimmen. Die Sympathien eines breiten, vornehmlich jungen Publikums hingegen sollten ihnen gewiss sein.
Wertung: (7 / 10)