A Serbian Film (SRB 2010)

aserbianfilm„Salò, or the 120 Days of Sodom“ (Italien, 1975), „Der Fan“ (Deutschland, 1981), „Aftermath“ (Spanien, 1994) oder „Irréversible“ (Frankreich, 2002) sind nur einige Titel, die der vielseitigen europäischen Kinematographie entsprangen und regelrecht für Furore sorgten. Unlängst durften erneut die Franzosen mit „Martyrs“ (2008) auf filmischem Wege abnormste menschliche Abgründe offenbaren. (Film-)Skandaltechnisch gehört das Jahr 2010, das hätte wohl niemand geahnt, allerdings den Serben! Das kleine Volk vom Balkan hat die (zweifelhafte) Ehre mit „A Serbian Film“ für den cineastischen Schocker der Saison zu sorgen. In diesem geht es um den (Ex-)Pornostar Miloš (Srđan „Žika“ Todorović), der seinen Beruf an den Nagel gehängt hat. Mit der hübschen Marija (der jungen Famke Janssen zum verwechseln ähnlich: Jelena Gavrilović), Sohnemann Petar und bestem Freund Jack Daniels verlaufen seine ´Rentnertage´ in ruhigen Bahnen. Bis der Eurobestand in der Videokassettenhülle immer knapper wird. Gut, dass Ex-Kollegin Lejla (Katarina Zutić) ihm ein Angebot unterbreitet, das er nicht ablehnen kann.

„Something big is about to happen. Artistic pornography of the highest level – for the foreign market. Terribly professional, phenomenally paid.“ Die Bezahlung ist so „phenomenally“, dass sogar Petar bis ans Ende seines Lebens ausgesorgt haben würde, wenn sein gut bestückter Vater sich entscheiden würde den Schwengel wieder gen Kamera zu schwingen. Dem Versuch nicht widerstehend, willigt Miloš ein und trifft am nächsten Tag den Sleaze-Philosophen und Regisseur Vukmir Vukmir (von der ersten Sekunde an grandios-furchteinflößend: Sergej Trifunović), ohne dabei auch nur erahnen zu können, dass er in einen Kaninchenbau der Perversion gesogen werden wird, der sogar den Wahnsinn eines Marquis de Sade weit überflügelt. Mit seiner Tour de Force hatte es Debütant Srđan Spasojević wahrlich nicht leicht. In seinem Heimatland verlangten manch erzkonservative Mächte allen Ernstes die Verhaftung des jungen Filmemachers, und das obwohl sein Werk (noch) kaum irgendwo rezipiert werden kann. Noch problematischer ist die Sachlage auf internationalem Markt, da der Lizenzinhaber Contrafilm horrende Summen für die Freigabe verlangen soll.

Doch wer die Mechanismen der Vermarkungshölle kennt, der weiß gewiss, dass schlechte Propaganda besonders für diese Art von Film nicht die schlechteste Publicity sein muss. Im Gegenteil. Aber verdient der serbische Film überhaupt den Titel des womöglich grausamsten auf Zelluloid gebannten Alptraumes aller Zeiten? Natürlich nicht. Und noch wichtiger, kann man es sich erlauben, ihn überhaupt als guten Film zu bezeichnen? Trotz Abstrichen, ein klares Ja. In den letzten zwei Jahrzehnten hat Fortuna einen großen Bogen um die serbischen Filmschaffenden gemacht. Nicht, dass es an Kreativität gemangelt hätte. Nur war die Filmförderung auf ein Minimum reduziert worden. Zwei Bürgerkriege in nicht einmal 15 Jahren und besonders dessen unerbittliche Konsequenzen für den wirtschaftlichen wie auch sozialen Sektor hinterlassen überall ihre Spuren. Dass diese Periode, die tiefe Kerben ins Bewusstsein eines jeden Serben geschlagen hat, über ziemlich jede Filmproduktion des Landes ihre Schatten wirft, ist fast schon als selbstverständlich zu erachten.

Auch wenn die historisch-kriegerische Vergangenheit des serbischen Volkes nur latent angesprochen wird, so sind deren Auswirkungen für das Handeln einzelner Figuren in „A Serbian Film“ ausschlaggebend. Obwohl bei Miloš hier und da Ansätze spürbar werden, dass er seinen früheren Job vermisst, so lässt er sich auf den Deal nur ein, um das Damoklesschwert über den Häuptern seiner Familie abzuwenden. Dass aber auch er seine dunklen Seiten hat, wird mehr als nur einmal angedeutet. Aber auch andere Personen um Miloš herum haben ihre Eigenarten. Frau Marija wünscht sich eigentlich wie eine seiner früheren Bumsgenossinnen durchgenommen zu werden, sein unheimlicher Bruder, der Polizist Marko (Slobodan Bestić), träumt davon mit Frau Schwägerin ins Bett zu steigen, Lejla, die auch vor Sodomie nicht halt macht, trauert Miloš bzw. einem bestimmten Körperteil von ihm nach.

Einzig Vukmir tanzt gänzlich aus der Reihe. Er ist ehemaliger Kinderpsychologe, der sogar für den serbischen Geheimdienst tätig war und zudem ein Filmverrückter mit einem unglaublichen Hang zur Selbstinszenierung. Sergej Trifunović, der in „Next“ schon auf Nicolas Cage schießen durfte, ist neben Srđan Todorović einer der besten Schauspieler seiner Generation. Als Vukmir liefert er – trotz Overacting – eine wirklich wuchtige Performance ab. Sobald er die Bildfläche betritt, stiehlt er – vergleichbar mit Christoph Waltz` Standartenführer Landa in „Inglourious Basterds“ – allen die Show. Auch hier kommt man trotz absolut diabolischen Wesens nicht herum, von der Art des Widerlings fasziniert zu sein. Der Umstand, dass er seiner Arbeit mit solch einer Hingabe nachgeht und sogar mit dem letzten Atemzug noch an die perfekte Aufnahme denkt, unterscheidet ihn aber auch von allen anderen Figuren.

Nicht des Geldes wegen oder aus purer Bosheit tut er was er tut. Er ist überzeugt, dass sein Schaffen die höchste Stufe der Kunst darstellt, ein neues Genre, das er selbst als „Newborn Porn“ bezeichnet. Bei einem weniger fähigen Darsteller wäre die Rolle schnell zur Witzfigur verkommen. Der Regisseur Spasojević hat darüber hinaus einen weiteren Coup gelandet: Sein Erstling sieht bei weitem teurer aus, als er tatsächlich ist. Ein Geschick für optische Spielereien mit der Kamera beweist besonders die Szene im gekachelten Raum, der bei bloßem Ansehen schon unheilvoll und im Stile „Alice im Wunderland“ surreal anmutet. Apropos Wunderland, weitere (mögliche) Reminiszenzen an Lewis Carolls Klassiker sind auch der weiße Hase, der mehrmals von der Kamera eingefangen wird, wie auch die junge Jelena (Andjela Nenadović), die in einer Sequenz optisch sehr an die verwirrte Alice erinnert. Sehr gelungen ist auch der Industrial- und Technosoundtrack vom serbischen Künstler Skaj Vikler, welcher in seiner bedrohlichen Art regelrecht mit der Szenerie zu verschmelzen scheint.

Doch wozu das Ganze? Braucht die Welt einen weiteren Torture-Porn-Streifen, auch wenn er aufgrund seines Ursprungs immerhin als Exot gehandelt wird? Auch wenn er 100 Mal besser gefilmt, gespielt, geschnitten und geschrieben ist als alle anderen Pendants der letzten Jahre zusammen? Natürlich braucht sie diesen nicht. Auch nicht einfacher macht es uns Spasojević mit seiner Intention. Was wollte er uns mit seinem Werk wirklich sagen, wenn er denn überhaupt etwas zu sagen hatte – oder war seine Motivation einfach nur die reine Schock-Absicht? Falls das Letztere zutrifft, so ist ihm dies gelungen, auch wenn die berüchtigte Babyszene (die ´nur´ als Film im Film gezeigt wird und geschickt geschnitten ist) wirklich nicht hätte sein müssen.

„Die Kunst ist fast immer harmlos und wohltätig, sie will nichts anderes sein als Illusion“ hat einmal Sigmund Freud gesagt. Vukmirs Folterporno (der Begriff war nie treffender!) ist keineswegs Kunst und das nicht wenige auch Spasojevićs Werk als gefährlich einstufen, wurde bereits erwähnt. Da aber auch zuvor bereits Tabus brechende Filme die Gemüter erhitzt haben – man denke nur an „Subconscious Cruelty“, wo man auch vor Mord an Neugeborenen nicht Halt machte –, um sie dann nach kurzer Empörung links liegen zu lassen, macht auch „A Serbian Film“ wieder „nur“ zu 104 (immerhin sehr gut gemachten) Minuten, an denen sich die Geister scheiden dürfen.

Wertung: 6.5 out of 10 stars (6,5 / 10)

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