27.05.2025 – Reconstruction Tour u. a. mit Pennywise, Propagandhi – Köln, Live Music Hall

Aus Deconstruction mach Reconstruction. Klar, früher waren die Punk-Festivals größer. Aber so lange die Vorturner der zweiten Genre-Popularitätswelle noch über den großen Teich kommen, stehen die (mindestens) Fortysomethings auch vor der Bühne und grölen jene Hits mit, die schon in den ausgehenden Neunzehnneunzigern lauthals mitgeschmettert wurden. Dass es neben dem Idealismus auch ums Geldverdienen geht, offenbarten die Einheitspreise an den Merch-Ständen der Tour-Station in Köln: Ein T-Shirt für 35 €, eine CD für 25 €. Da war ungläubiges Kopfschütteln durchaus angebracht. Früher war nicht alles besser, aber zumindest günstiger!

Aber bleiben wir fair: Der Ticketpreis fiel mit rund 55 € völlig in Ordnung aus. Und mit PENNYWISE, PROPAGANDHI, COMEBACK KID, THE IRON ROSES und den DEAD PIONEERS gab es ein erstklassiges Line-Up zu erleben. Wer will sich da schon über überzogene Memorabilia-Taxen beschweren? Den Anfang in der restlos ausverkauften Live Music Hall besorgten gegen halb sieben die DEAD PIONEERS, deren Hardcore-Punk mit PROPAGANDHI-Breitseite durch die Beteiligung zweier Native Americans zweifelsfrei eine Besonderheit darstellt. Und in den wütenden, teils gesprochen vorgetragenen Texten wird das Schicksal – und die aktuelle Lebensrealität – der Indigenen fortwährend thematisiert. Mit „Po$t American“, „My Spirit Animal Ate Your Spirit Animal“, „Bloodletting Carnival“, „Pit Song“ oder „Bad Indian“ gab es denn auch zünftige Hits auf die Ohren der bereits anwesenden Besucherschar.

Stimmungsvoller Auftakt: Dead Pioneers

Die Stimmung war vom Fleck weg ansteckend und die Mannen aus Denver wurden mit verdientem Jubel bedacht. Die erste Band des Abends hat es immer schwer. Aber die DEAD PIONEERS ließen während ihrem rund 25-minütigen Auftritt keinen Zweifel daran, dass man sie verdammt noch mal auf dem Zettel behalten muss! Danach THE IRON ROSES, ein Kollektiv, das sich im Punk für die Rechte und Akzeptanz von Homosexuellen und Transpersonen stark macht. Eng verbunden ist diese Haltung mit BOYSETSFIRE-Frontmann Nathan Gray, der sich 2022 selbst als non-binär outete und seitdem als Nat Gray auftritt. Wie sehr die IRON ROSES für Nat ein Zeichen befreiender Selbstverwirklichung sind, offenbarte bereits das Bühnenkostüm: ein kurzes schwarzes Kleid und schwarz gefiederte Flügel am Rücken.

Schwarze Flügel au schlechtem Foto: The Iron Roses

Dass die von Nats Sangespartnerin Becky initiierten „Trans lives matter“-Rufe vom Publikum nicht so recht erwidert werden wollten, durfte dabei als Zeichen verstanden werden, dass es auch im Punk noch weite Wege für die Gleichbehandlung zu gehen gilt. Die in den vorderen Reihen geschwenkten Regenbogen-Fähnchen blieben daher auch nicht mehr als eine willkommene Fußnote. Dabei zeigte der mit Leidenschaft vollzogene Auftritt des Sextetts, wie viel Spaß der Punk in seiner buntesten Form machen kann. Die Hits, darunter „Old Guard“, „Soldier of Fortune“, „Screaming for a Change“ und „Around & ´Round“, saßen und stimmlich bot Gray das gewohnt breite Spektrum aus emotional gesungenen und inbrünstig geschrienen Vocals. Seine gefühlsbetonte Einleitung vor dem final gebotenen „No Way“, in der er seinen offenen Lebenswandel und die Dankbarkeit für den Support vieler alter Fans zum Ausdruck brachte, wurde dann aber mit der gerechtfertigten lautstarken Anteilnahme des Pulks erwidert. 

Energisch: Comeback Kid

Im Anschluss wurde es dann auch auf der Bühne laut. Denn COMEBACK KID hatten sich offenbar vorgenommen, ihren halbstündigen Zeit-Slot dafür zu nutzen, die ganze Halle in Bewegung zu versetzen. Shouter Andrew Neufeld suchte schon beim Auftakt, „False Idols Fall“, die Nähe zum Publikum und fegte ansonsten bevorzugt im Derwisch-Modus über die Bretter. Daneben schien er mit Feuereifer darum bemüht, die Lücken in den vorderen Reihen zu schließen. Auch das unterstrich den Stellenwert der Kanadier, die schlicht ein Garant für energiegeladene Live-Shows bleiben. Der Mob dankte es mit viel Bewegung im vorderen Bereich, was bei Krachern wie „Heavy Steps“, „Somewhere, Somehow“, „G.M. Vincent & I“, „Talk is Cheap“ und zu guter Letzt (wie immer) „Wake the Dead“ auch nicht weiter verwundern durfte. Dabei zeigte sich erneut ein entscheidendes Pfund der gesamten Veranstaltung: der exzellente Live-Sound.

Ein Highlight mit deutlichen Abstrichen: Propagandhi

Der prägte auch den Auftritt von PROPAGANDHI, deren technisch anspruchsvoller Prog-Punk in Sachen Vielschichtigkeit das Highlight des Abends blieb. Allerdings hatte der Auftritt des Quartetts aus Kanada auch einen Haken: emotional wollte der Funken nicht wirklich überspringen. Gerade bei den komplexeren Stücken, solchen wie „Failed Imagineer“, „Cat Guy“, „Guiding Lights“, „At Peace“ oder „Victory Lap“, schien die Band allein auf die möglichst makellose Performance fokussiert. Vielleicht lag es aber auch daran, dass die auf 50 Minuten begrenzte Spielzeit (aus Band-Warte) zu wenig Raum für Interaktionen und politische Statements ließ. Naja, abgesehen von Songs wie „The Only Good Fascist is a Very Dead Fascist“ oder „…And We Thought That Nation States Were a Bad Idea“. Sie, wie gleichsam der Evergreen „Back to the Motor League“, sorgten für Stimmungshochs, die im Anschluss aber wieder abebbten. Dazu passte, dass als finaler Track (wieder) das sperrige „Night Letters“ gespielt wurde. Ein überzeugendes, aber doch überraschend wenig begeisterndes Gastspiel.

Volle Bühne zum Finale: Pennywise

Ganz anders PENNYWISE. Der Vierer aus Hermosa Beach, Kalifornien (wie wiederholt betont wurde), hat auf seine alten Tage offensichtlich vor, die durch die Auflösung von NOFX entstandene Lücke der Party-Punk-Fraktion zu füllen. Und dass nicht nur, da Fat Mike & Co. mehrfach erwähnt wurden, sondern auch durch ein Cover-Medley, bei dem „Bob“, „Kill All the White Man“ und „The Brews“ angestimmt wurden. Damit nicht genug, wurden auch Hits von BAD RELIGION („Do What You Want“) und SUBLIME („Same in the End“) vorgetragen. Und – immerhin aus der eigenen Vita – die Punk-Vertonung des Ben E. King-Klassikers „Stand By Me“, bei dem das Publikum kollektive Textsicherheit unter Beweis stellte. Aber auch sonst stand der rund 75-minütige Auftritt des Headliners ganz im Zeichen der Kurzweil.

Neben schlechten Witzen (auch hier in NOFX-Manier) und zur körperlichen Teilhabe animierenden Beleidigungen durch Gitarrist Fletcher lag das aber auch am Set. Denn das bestand einzig aus Beiträgen der ersten sechs Alben; solchen wie „Wouldn’t It Be Nice“, „My Own Country“, „Just For You“, „Same Old Story“, „Fuck Authority“, „Straight Ahead“, „Perfect People“, „Society“ und „Pennywise“. Dazu gab’s ein paar unerwartete – oder besser: nicht allzu häufig live gehörte – Kracher wie „It’s What You Do With It“, „Who’s to Blame?“ oder „It’s Up to Me“ um die Ohren. Und die Wirkung des lautstark vom Pulk (und diversen Gaststimmen der übrigen Bands) mitgegrölten Finale „Bro Hymn“ muss wohl nicht extra betont werden. In Summe war es ein überaus gelungener Festival-Abend mit starken Performances. Eine Wiederholung ist strengstens erbeten!

scroll to top