24.10.2009 – United Voices Festival 2009 u.a. mit Discipline / Street Dogs – Hamburg Markthalle

street-dogs-band-2009Asozial und Spaß dabei! Was für manche ein Motto bei der Planung wochenendlicher Zeiteinteilung bedeutet, artet für andere in Vollbeschäftigung aus. Deren musikalische Repräsentanten fanden sich (in erlesenen Teilen) zur 2009er-Ausgabe des United Voices Festival in der Hamburger Markthalle ein – und ließen den Titel der gut besuchten Abendveranstaltung zu vorgerückter Stunde eindrucksvoll Wirklichkeit werden. Anfangs jedoch – vermutlich der Ausgangssperre bis 20 Uhr geschuldet – ließen die vereinten Stimmen auf sich warten. 

Punkt 17:30 Uhr betraten SCHLOIDERGANG die Bühne und unterhielten in der folgenden halben Stunde eher sich als das Publikum. Die ersten 80 Schaulustigen (eine stolze Schar Punks uns Skins frönte vor der Halle der Verköstigung alkoholischer Getränke) nahmen auf den Stufen des Auditoriums Platz und beobachteten die sympathischen Kieler Oi-Punks mit DIY-Flair bei einer soundtechnisch durchwachsenen Darbietung des Albums „Asis mit Niveau“. Stücke wie „Druckbetankung bei ARAL“ oder „ALDI Jahre“ spornten einzelne zum verhaltenem Bewegungstaumel, die Mehrheit aber nicht mal zum Applaus an. 

Noch vor halb sieben begannen CIVET, als Toursupport der STREET DOGS ins Line Up gerutscht, ihren Gig. Die vier Kalifornierinnen boten eine überzeugende und – im Gegensatz zur Show im Berliner Magnet zehn Tage zuvor – auch abgeklärte Performance und wussten die mittlerweile rund 300 Zuschauer schnell für sich einzunehmen. Songs wie „Gin n Tonic“ oder „Take Me Away“ heizten die Stimmung an und untermauerten den Wandel des Quartetts von Punk-Gören zu Rock-Röhren. Das hatte Schmiss und brachte den Mädels, die bis in die Nacht tapfer am Merch-Stand ausharrten, einige Beachtung. 

Weiter ging’s mit dem streitbaren Klassiker OHL, der mit Frontmann Schwarzer W. zwar ein gestandenes Energiebündel aus dem Ärmel schüttelte, sich aber doch eine Spur zu sehr an den Früchten der Vergangenheit labte. „Feind der freien Welt“, „Roter Terror“ oder „Wir sind die Türken von morgen“ haben über die Jahr(zehnt)e nicht an politischer Wut, partiell aber an Aktualität und Zündstoff verloren. Noch in 2009 wird es eine neue Platte der Kölner geben. Den Reaktionen des stetig wachsenden Pulks nach zu urteilen wird sie ihr Publikum finden. Wie gewohnt mit Parolen, Polemik und Provokation. 

Den ersten echten Kracher zündeten um kurz nach acht PÖBEL & GESOCKS. Die Ruhrpott-Punks, die früher unter dem Namen BECK´S PISTOLS firmierten, spornten die mittlerweile geschätzten 800 Fans zu Höchstleistungen an. Bei der unfehlbaren Hymne „Pöbel & Gesocks“ eröffnete sich ein Meer aus emporgereckten Fäusten und lautstark wurde aus nahezu sämtlichen Kehlen stimmliche Unterstützung bereitet. Weniger euphorisch wurde die Stimmung auch bei Gassenhauern wie „Punk Rock Pervers“, „Ballermann RocknRoll“ oder (natürlich) „Asozial“ nicht. Band und Publikum gaben alles. Bierbecher flogen, der Mob rastete aus oder enterte (die BOUNCING SOULS ließen grüßen) im Kollektiv die Bühne. 

Diesem Wahnsinn folgten auf merklich undankbarer Position die Bostoner STREET DOGS. Die Stimmung war noch immer ausgelassen, das Interesse jedoch spürbar abgekühlt. Ex-DROPKICK MURPHYS-Front- und Feuerwehrmann Mike McColgan ließ sich davon aber nicht die Laune verhageln. Er fegte über die Bühne, bestieg (sehr zum Leidwesen des Wachpersonals) einen Boxentower und feierte wie gewohnt die Lebendigkeit des Punk – und zudem die Wichtigkeit von Gewerkschaften. Das Set vereinte melodische Hymen wie „Katie Bar the Door“, „Fighter“, „Not Without a Purpose“ oder „Kevin J. O´Toole“ – das SHAM 69-Cover „Borstal Breakout“ durfte in diesem Rahmen natürlich nicht fehlen – und bescherte McColgan im Vorraum anschließend eine Überstunde vor diversen Handykameras. 

Was folgte war die Sublimierung ekstatischer Bandverehrung, als um halb elf die niederländischen Hooligan-Rocker DISCIPLINE zum Pogo luden. Und wer nicht spätestens beim TWISTED SISTER-Cover „We’re Not Gonna Take It“, das in Sachen Sangesunterstützung und Fäusterecken selbst PÖBEL & GESOCKS in den Schatten stellte, eine Gänsehaut bekam, der musste entweder volltrunken oder längst tot sein! Punkten konnten die Mannen um den wandelnden haarfreien Kleiderschrank Joost De Graaf auch mit Oi-Punk-Smashern des Kalibers „Downfall of the Working Man“, „Rejects of Society“ oder „Saints & Sinners“. Eine schlichtweg grandiose Vorstellung. 

Der rege Bierbechertiefflug hatte den Raum vor der Bühne in den Stunden zuvor kontinuierlich mit Flüssigkeit benetzt. Beim konstant gesitteten wie stets rücksichtsvollen Körpereinsatz waren deshalb diverse slapstickhafte Stürze zu vermelden. Die nahmen, auch bedingt durch die sportsmännische Biervernichtung, noch zu, als die LOKALMATADORE (Oder wie Sänger Fisch es ausdrückte: „Die Klaus Lage Band aus Mühlheim/Ruhr“) kurz vor Mitternacht den Rausschmeißer gaben. Vom Mob war etwa die Hälfte übrig geblieben. Doch gab dieser „Rest“ zum Abschluss eines erinnerungswürdigen Festivals – abgerundet durch eine Wiederholung des Evergreens „Pöbel & Gesocks“ mit Gastsänger Willi Wucher – noch einmal alles. 

Die urig-charmanten Punk-Proleten hatten die Meute mit den bewährten Themenkomplexen „Fußball, Ficken, Alkohol“ unverzüglich auf ihrer Seite. Und auch die weiblichen Fans sangen Hits wie „Fotze“, „Barbara“, „König Alkohol“, „El Lokalmatador“, „Dicke Titten“, das eingedeutschte COCK SPARRER-Cover „Anne Wand“ oder „Ich lass dir den Kochtopf, lass du mir mein Bier“ ausschweifend mit. Ob die LOKALMATADORE nun Headliner oder Nachtrag waren, spielte keine Rolle. Ihr Auftritt war, wie eigentlich der gesamte Abend, ein rauschendes Fest. Und nicht oft genug ist zu betonen, dass es bei allem Alkoholismus und dem Zusammentreffen verschiedener Subkulturen durchweg friedlich blieb. Aber das war bei der Überschrift „United Voices“ ja eigentlich auch nicht anders zu erwarten! 

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