23.05.2010 – Walter Schreifels Band / Atlantic/Pacific – Berlin, Festsaal Kreuzberg

Den ewig jung gebliebenen Walter Schreifels als musikalische Institution zu bezeichnen, ist sicher nicht übertrieben. Der 1969 geborene New Yorker gilt als Instanz des Hardcores, spielte bei YOUTH OF TODAY und den GORILLA BISCUITS, schrieb für CIV, produzierte mit HOT WATER MUSIC und gründete ferner die Post-Hardcore-Fraktion QUICKSAND. Auch der Alternative-Rock von RIVAL SCHOOLS geht auf seine Kappe. Seit Jahren tritt Schreifels, der einen Zweitwohnsitz in Berlin unterhält, auch als Solokünstler auf. Die erste Platte unter seinem Namen, programmatisch „An Open Letter to the Scene“ betitelt, erschien aber erst im Mai 2010.

Vorgestellt wurde das gute Stück auf einer Deutschlandtour, bei der Schreifels von einer illustren Bandbesetzung begleitet wurde: Mit dabei waren unter anderem Arthur Smilios (GORILLA BISCUITS, CIV), Drew Thomas (GOD FIRES MAN, Schreifels jüngstes Nebenprojekt WALKING CONCERT) und John Herguth (HOUSE & PARISH). Letzterer agiert auch bei ATLANTIC/PACIFIC, die das Vorprogramm der gesamten Auftrittsreihe bestellten. Allerdings geriet ihr Gig im Festsaal Kreuzberg dezent einschläfernd. Zusammen mit Garrett Klahn (TEXAS IS THE REASON) und Ersatz für den (offenkundig) verhinderten Sergie Loobkoff (SAMIAM) servierte Herguth unspektakulären Indie-Pop, der stimmungsvoll, aber auch recht monoton in den Raum waberte.

Die gut 150 Besucher ließen sich jedoch gern einlullen, was bei der gewohnt stimmigen Atmosphäre des Kreuzberger Festsaals aber auch nicht schwer fällt. Merklich dynamischer wurde es erwartungsgemäß mit Schreifels und Band, die sich neben „An Open Letter to the Scene“ auch der Hofierung alter Helden hingaben. Bereits auf der Platte selbst covert Schreifels den AGNOSTIC-FRONT-Smasher „Society Sucker“ und legt auch das von ihm für CIV geschriebene „Don’t Gotta Prove It“ neu auf. Zusätzlich – und zur freudigen Überraschung der Anwesenden – holten er und seine gut gelaunten Begleiter zu einer soften Variante von QUICKSANDs „Thorn in My Side“ aus und verknüpften auch mal THE SMITHS mit SICK OF IT ALL.

Schreifels gab sich zum Abschluss der Deutschland-Shows spielfreudig und Publikumsnah. Die dargebotenen Songs seines jüngsten, sehr persönlichen Werkes, darunter der Titeltrack, „Wild Pandas“ und „Arthur Lee’s Lullaby“, sorgten für Begeisterung und eine mitreißende Stimmung. Im Mittelteil des von unterhaltsamen Anekdoten abgerundeten Auftritts griff der Sänger allein zur Klampfe (und Mundharmonika) und gönnte seiner Band eine verdiente Pause. Mit seiner ersten Soloplatte hat Walter Schreifels eine gelungene Loslösung vom eigenen Mythos vollzogen, die im Herzen Hardcore und an der Oberfläche Indie ist. Die musikalische Institution ist damit um eine weitere wunderbare Facette reicher!

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