22.04.2007 – Give It a Name Festival – Berlin Columbia Club

jimmy-eat-world-band-2007Deutschland und die Tagesfestivals – ein Trauerspiel mit Tradition. Ob Vans Warped oder Deconstruction Tour, Taste of Chaos oder jüngst Give It a Name, die in Amerika und/oder Großbritannien überwältigend erfolgreichen Veranstaltungskonzepte reiben sich am teutonischen Desinteresse auf. Der hiesige Ableger des Letztgenannten darf – zumindest aus Perspektive der Veranstalter – als bitterer Flop bezeichnet werden. Dem immerhin regen Publikumsaufkommen im Kölner Palladium folgte die Geisterstadt Berlin. Der Kartenvorverkauf lief derart schleppend an, dass die Absage von THURSDAY gerade Recht schien.

Ursprünglich sollte es eine Parallelveranstaltung auf zwei Bühnen benachbarter Locations werden. In Anbetracht des Fernbleibens von Zuschauern eine mittlere Katastrophe. Also wurde vermeldet, die Suche nach einem Ersatz für den Headliner der kleinen Stage wäre erfolglos beendet worden. In der Folge wurde das Line Up verknappt – ONE FINE DAY und GROWN AT HOME verzichteten auf ihre Teilnahme – und der Zeitplan umgeworfen. Die aus Konsumentensicht inakzeptable Eintrittstaxe von 35-40 Euro war damit kaum mehr zu rechtfertigen. Zumal in der Hauptstadt die Columbiahalle als Austragungsort wegfiel und die insgesamt elf Bands in den anliegenden Columbiaclub umziehen mussten.

Die Schönheit der Chance: Diese Entwicklung hatte aber auch einen immensen Vorteil zu bieten. Denn wann gab es zum letzten Mal die Gelegenheit, namhafte Combos wie JIMMY EAT WORLD oder SPARTA in einem solch intimen Ambiente zu erleben? Dieser Vorzug, wie auch der durchweg leidenschaftliche Einsatz der Bands, machte das Give It a Name-Festival trotz all der bösen Vorahnungen zu einem musikalischen Erlebnispark. Als MINDLESS SELF INDULGENCE den Auftakt bestritten, sah das allerdings noch ganz anders aus.

Nur etwa 30 Zuschauer zeigten sich befähigt, den New Yorkern einen warmen Empfang zu bereiten. Die antworteten mit einer erfrischend eigenständigen Mischung aus Industrial und New Wave-Punk. Und die riss unverzüglich mit. Unter strikter Erhebung der Äußerlichkeit zum tragenden Faktor – die Bassistin spielte in Schuluniform ähnlichem Aufzug bevorzugt breitbeinig, der Sänger, ein dürres wie aufgestyltes Fashion-Opfer, bespuckte abwechselnd Publikum und Gitarristen – wurde so aufgesetzt wie irgend möglich auf Konvention geschissen und schwer Krach geschlagen. Stakkato-Drumming und zynische Ansagen komplettierten einen Einstand nach Maß.

Weiter ging es mit THE SLEEPING, deren Indie-Rock/Hardcore vor Publikum deutlich an Schärfe gewann. Wesentlich härter als auf Platte umspielte das Set weitgehend Beiträge des jüngsten Albums „Questions and Answers“, wobei einzig die Single „Loud & Clear“ der Studiovorgabe gerecht wurde. Der Vierer aus Massapequa legte sich mächtig ins Zeug, auch wenn die Bewegungsmuster von Sänger Douglas – der bei Plauze und Karottenhose die Mode vielleicht noch einmal überdenken sollte – bisweilen etwas plump wirkten. Dem geringfügig durch Zuwanderung begünstigtem Publikum gefiel es. Der Grundstein ward somit gelegt. Und wenn die erste Riege auch nur je 25 Minuten Spielzeit zur Verfügung standen, die Darbietungen rissen – auch dank der durchweg guten Akustik – mit.

GALLOWS machten sich ihre eigene Party. Weil die Zuschauer nicht mitziehen wollten, überquerte Sänger Frank Carter den Wellenbrecher und rockte ein gutes Stück vor der Bühne für die Beachtung seiner Band. Das funktionierte. Die fünf jungen Engländer, stark tätowiert und in kaum verständlichem Akzent nuschelnd, zündeten ein Feuerwerk ruppiger Punk/Hardcore-Tracks. Die Energie und die von ihr getragene Rotzigkeit weckten Erinnerungen an die frühen THE EXPLOSION, was sich gerade im Hinblick auf Carters Präsenz zeigte. Klein und schmächtig, dafür bis zum Hals mit Tattoos geschmückt, wirbelte er durch den Raum. Es wurde geschrieen, lautstark gerockt – der Song „Abandon Ship“ dem Eisbären Knut gewidmet – und mächtig Staub aufgewirbelt. Kein Wunder, dass die Briten jüngst von Epitaph unter Vertrag genommen wurden.

MEWITHOUTYOU mögen vielleicht aussehen wie eine Bande zauseliger Alt-Hippies. Doch der Schein trügt. Hinter Grizzly Adams-Rauschebart und dreckigen Füßen verbirgt sich eine Band, die durchweg hin- und mitreißenden Indie-Rock fern jeder aufgesetzten Emo-Attitüde präsentiert. Und der ist nicht nur ausgezeichnet gespielt, sondern auch gern mal lauter werdend. Mit dem anschließenden Auftritt von MOTION CITY SOUNDTRACK erreichte die Spielfreude ihren vorzeitigen Höhepunkt. Sänger Justin Pierre müsste man das verschmitzte Grinsen wohl aus dem Gesicht prügeln. Aber vermutlich würde auch das nicht helfen, schließlich passt es so wunderbar zur radiotauglichen Hitfabrik des Quintetts aus Minnesota. Poppige Melodien, dezente Anleihen bei Rock und Punk und eine glasklare Stimme, die selbst live keinen Höhenunterschied zur Konserve vollzieht. Neben neueren Stücken wie „Everything is Alright“ sorgten vor allem die (Fast-Schon-)Klassiker „My Favorite Accident“ und „The Future Freaks Me Out“ des Debüts „I Am the Movie“ für Verzückung. Großartigkeit gepaart mit Selbstironie – ein Hammer!

Im Anschluss übernahm der amerikanische Pop-Punk das Ruder. Erst war es an ZEBRAHEAD und ihrer von gerappten Vocals umgarnten Spielart, das stetig wachsende Publikum zu ergötzen. In ihrer Quintessenz schematisch und von enormer Formelhaftigkeit, kann den Jungs ein großer Unterhaltungswert kaum abgesprochen werden. Die Zeit reichte sogar für Spielchen mit dem Publikum. Eine sympathische Truppe, bei der die Klasse des Sounds zumindest im Ansatz die Vorhersehbarkeit der Songs kaschierte. MXPX stehen seit mehr als einer Dekade für melodischen Punk mit Ohrwurmcharakter. Das Trio begnügte sich mit einem relativ kurz gehaltenen Gastspiel, schmückte die Auswahl der Stücke aber überraschenderweise zur Hälfte mit Vertretern ihres ´96er-Albums „Life in General“. „The Wonder Years“, „Chick Magnet“, „Doing Time“ – ohne groß hervorzustechen, punktete das sehenswerte Gespann. Originalität brauchte es dazu nicht.

Als erster Vertreter verfügten die VOODOO GLOW SKULLS über 40 Minuten Zeit auf der Bühne. Wie zu erwarten war, bot die Truppe dem zunehmenden Publikumsaufkommen mit ihrem illustren Cocktail aus Ska und Hardcore Einhalt. Jedermanns Sache ist das nicht, gesehen haben sollte man das energische Sextett um die Gebrüder Casillas aber auf jeden Fall. Bei mir reicht das zehn Jahre zurück. Umso größer wog die Freude darüber, dass sich die alten Hits – unter anderem „Left for Dead“, „The Band Geek Mafia“ und natürlich „El Coo Cooi“ – noch immer großer Beliebtheit erfreuen. Das gilt auch für SENSES FAIL, die mittlerweile in die Speerspitze des Screamo vorgedrungen sind. Angesichts solch energiegeladener Live-Vorstellungen haben sie es sicherlich verdient, selbst wenn die Verwechslungsgefahr im Bereich des melodischen Hardcore denkbar groß ist. Immerhin zeigte die deutlich breitere Zuschauerschaft – letztlich werden es etwa 450 gewesen sein – lebhaften Einsatz. Am nicht immer stimmigen Gesang schien sich kaum jemand zu stören.

SPARTA sind weit mehr als nur ein Projekt aus den Trümmern der legendären AT THE DRIVE-IN. Ihr Rock zwischen den Stühlen von Indie und Alternative hat Profil – und genug mitreißende Melodien, um auch ruhigere Stücke zur echten Klangvielfalt zu verhelfen. Ihre Darbietung beschränkte sich zumeist auf Tracks des neuen, in Deutschland bislang unveröffentlichten Albums „Threes“. Mitunter gehen es die Jungs darauf etwas ruhiger an, wobei das in Schwermut gegossene Kreativpotenzial seiner endgültigen Vollendung entgegenzuschreiten scheint. Manchmal etwas nachdenklich, doch auf der Bühne ein echtes Erlebnis.

JIMMY EAT WORLD müssen nicht mehr vorgestellt werden. Sie sind mittlerweile bekannt wie ein bunter Hund. Trotzdem sind sie auf dem Teppich geblieben und haben auf das euphorisch in allen Lagern gefeierte Hitalbum „Bleed American“ die richtige Antwort gegeben – die wieder bedächtigere Platte „Futures“. Der Gig im Columbia Club schien entsprechend wie ein Wohnzimmerkonzert auf den Abendabschluss. Alte Freunde, in überschaubarem Rahmen vereint. Man erzählt sich Geschichten, lacht und geht irgendwann von Zufriedenheit erfüllt seiner Wege. Eingespielt wie sie sind, lieferten die sympathischen Vier wie auf Bestellung. „Bleed American“, „Authority Song“, „Blister“, „Pain“, „Your New Aesthetic“, „The Middle“ – bis auf „No Sensitivity“ und „Lucky Denver Mint“ wurden alle relevanten Hits gespielt.

Das Give It a Name-Festival wird im kommenden Jahr wohl nicht wiederkommen. Das Konzept ist in Deutschland einmal mehr nicht aufgegangen. Und trotzdem hat es für einen Tag voller mitreißender Konzerte genügt. Die meisten der Anwesenden werden auf ihre Kosten gekommen sein.

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