Die vier Kanadier von BILLY TALENT sind ohne Übertreibung als die Band der Stunde zu bezeichnen, hauchten sie dem überstrapazierten Genre des Punk-Rock mit ihrem brillanten selbstbetitelten Debütalbum im vergangenen Jahr doch den überfälligen Odem der Gesundung ein. Ein Auftauchen im theatresken Columbia Fritz an diesem Abend erschien somit nicht nur aufgrund der Tatsache als Pflichtübung, dass der anstehende Gig im Vorprogramm der BEATSTEAKS im April eine Hausnummer weiter bereits restlos ausverkauft ist, sondern ergab zudem die willkommene Gelegenheit, BILLY TALENT in voller Größe als Hauptattraktion bewundern zu können.
Zuvor jedoch galt es, die Auftritte der beiden deutschen Vorbands unbeschadet zu überstehen, was im Angesicht von BITUNE nicht weiter schwer viel, boten die Jungs doch soundtechnisch hochwertigen Indie-Rock der Gangart PALE mit hochgeschraubten Alternativeinschüben. Im Falle des Berliner Kuriositätenkabinetts TOXIC LIES lag der Sachverhalt derweil schon weitaus schwieriger, boten die zwei Damen (Gesang und Bass) und drei Herren (Gitarre, Drums und Keyboard) doch eine unsägliche und obendrein talentfreie Mischung aus Rock n‘ Roll und Punk. Im Stile der HEROINES wurde ohne jegliche Ausstrahlung das Nervenkostüm des Publikums strapaziert, was im letztlich unvermeidlichen Aufkommen der ersehnten Worte zum finalen Song der Band für einigen Beifall unter den Anwesenden sorgte. Ohne den individuellen Einsatz des Keyboards wäre es wohl noch schlimmer gekommen…
Doch ging die Sonne bereits wieder auf, als BILLY TALENT im Anschluß an den musikalischen Suizid die Bühne betraten und vor etwa 350 gut gelaunten Zuschauern ein schieres Feuerwerk kraftstrotzender Powersongs abbrannten. Bereits beim merklich entfremdeten Opener „This Is How It Goes“ und dem darauf folgenden „River Below“ zuckte Frontmann Benjamin Kowalewicz über die Bretter des Columbia Fritz, als gäbe es kein Morgen mehr. Ob eine Überdosis Duracell oder der in Kindertagen vollzogene Seemannsköpper in ein Planschbecken voller Espresso an der mitunter konfus anmutenden Gemütslage des Sängers Schuld trägt, bleibt an dieser Stelle reine Spekulation. Fest steht, dass in sanft aufkeimender Erinnerung an Dennis Lyxzén geschrien, gespien und gesprungen wurde, sich flaschenweise Evian über das Haupt des vor purer Energie nur so strotzenden Sangeskünstlers ergoss und sich die polarisierte Kraft des Quartetts unverzüglich auf die Meute in Front der Bühne transferierte.
So verwandelten BILLY TALENT den Club in einen brodelnden Hexenkessel, ein Stadion überkochender Begeisterung. Mit Ausnahme von „Cut The Curtains“ wurde in der Folgezeit das gesamte Debütwerk BILLY TALENTs druckvoll, enervierend und schmutzverkrustet auf die Bühne gestemmt, Ian D’Sa (mit formschön aufgetürmtem Haupthaar), Jon Gallant und Aaron Solowoniuk taten es ihrem Sprachorgan dabei gleich und rieben sich physisch förmlich auf. Zwischen den Stücken wurde das dankbare Geflecht des Publikums, welches mit massenhaft Bühnentauchern und eingestimmten Chorälen eine hervorragende Atmosphäre schuf, mit illustren Ankündigungen und sprachlichen Intermezzi angestachelt, bevor der spielfreudige Vierer erneut seine melodiöse Explosivität und positive Aggression auf das Auditorium entlud.
In die Zugaben bettete sich schließlich noch ein grandioses FUGAZI-Cover als krönenden Abschluß eines denkwürdigen Konzertes ein, welches die Messlatte im Hinblick auf überschwengliche Bühnenaktivität für die nächste Zeit wieder ein enormes Stück Richtung obere Wolkenbanken setzen dürfte. Denn wer bei dem aus vielen Dutzend Kehlen eingestimmten Refrain von „Standing In the Rain“ keine in atemlosem Tempo den Rücken herunterrasende Gänsehaut verspürt hat, der ist entweder längst tot oder wäre zeitgleich bei BELLE & SEBASTIAN in der Columbiahalle besser aufgehoben gewesen.