Zehn Jahre nach ihrer Auflösung haben sich HAVE HEART für acht Konzerte wieder zusammengefunden. Zwei davon fanden in Deutschland statt. Deren letztes in Köln. Dass es großartig werden würde, schien erwartbar. Aber diese unbändige, durchweg positive Energie, die der Straight-Edge-Hardcore-Klassiker auf die Bühne(n) brachte, unmittelbar live zu erleben, muss mit einem Wort als unvergesslich eingestuft werden. Daraus nährt sich die Hoffnung, dass die Reunion nicht allein auf diese bewusst (und glücklicherweise) überschaubar dimensionierte Präsenz beschränkt bleibt. Aber der Reihe nach.
Die Essigfabrik in Köln war zum Vorverkaufsstart der Tickets nach wenigen Minuten ausverkauft. HAVE HEART hätten in größerer Location deutlich mehr Publikum ziehen können. Die Konsequenz für die Atmosphäre wäre jedoch zu gravierend gewesen. Also blieben rund 1.000 hocherfreute und zahllose lange Gesichter zurück. Das Resultat, respektive ein ganzheitlich mitreißendes, denkwürdig packendes Konzert mit noch immer größtmöglicher (räumlicher) Nähe zur Zielgruppe, gibt der Entscheidung zugunsten des Clubs voll umfänglich recht.
Doch nicht allein der Headliner hinterließ positive Eindrücke. Im Vorprogramm tummelten sich gleich vier (!) SxE-Bands, die der prächtigen Stimmung durch ihre individuelle Auslegung des klassisch zeitlosen Hardcore-Sounds zutrugen. Den Auftakt markierten SPARK, die über zwanzig Minuten treibenden, gern in kurze Brecher gegossenen Krawall mit punkigem Grund und Gangshouts boten. Das Gespann aus Mannheim und Köln hatte einen stattlichen Fanzirkel mitgebracht, der bereits zum Auftakt Fäuste reckte und das vordere Drittel des Zuschauerraums als Tanzfläche markierte.
Diesem starken Startschuss folgte mit MIL-SPEC aus Toronto das erste internationale Kollektiv. Auch dem standen zwanzig Minuten Spielzeit zur Verfügung, während der die ruppige Genre-Kelle eine unwesentlich druckvollere, dafür aber unterschwellig metallische Note verliehen bekam. Frontmann Andrew durfte dabei als prägendes Element wahrgenommen werden, tendierten seine Shout-Kaskaden doch immer wieder gen gesprochene Vocals. Dem wachsenden Pulk im Saal war die sehenswerte Performance allerdings kaum mehr als Anstandsapplaus wert. Schade eigentlich.
Die nächsten im Bund(l)e waren ABUSE OF POWER aus Atlanta, deren wieder punkigerem Hardcore bisweilen eine dezent thrashige Note anhaftete. Die Darbietung des Fünfers war ansteckend enervierend, was die Bühnenzeit von kaum mehr als 15 Minuten allerdings sauer aufstoßen ließ. Von diesem druckvollen Gebolze hätte man im zunehmend dunstigen Rund doch gern mehr auf die Ohren bekommen. Deutlich mehr Zeit durften sich anschließend die Mannheimer von SPIRIT CRUSHER (inklusive SPARK-Shouter Andy an der Gitarre) nehmen, denen die Vorschusslorbeeren angesichts der schweißtreibenden Darbietung vollauf gerecht wurden.
Nachdem die zur Absteckung umfassender Verständlichkeit auf Englisch gestellte Frage, ob denn jeder im Saal des Englischen mächtig wäre, für Gelächter gesorgt hatte, ging es ans Eingemachte. Der Sound von SPIRIT CRUSHER verbindet mit hohem Groove-Anteil 80’s-Hardcore der Marke SUICIDAL TENDENCIES mit metallischer NYHC-Ausprägung der Gangart AGNOSTIC FRONT. Das rund 40-minütige Set spornte die vorderen Reihen jedenfalls zu reger Ausschweifung an – akrobatisches Von-der-Bühne-Stürzen inklusive. Mehr Betriebstemperatur war am Ende des wilden Ritts schwerlich möglich.
Danach wurde es wüst, mitreißend und schlicht unfassbar intensiv. HAVE HEART feierten eine triumphale Rückkehr, bei der weite Teile des Publikums die Texte lauthals mitschmetterten, während die Bühne von Stagedivern und Salto-Spezialisten förmlich überrannt wurde. Das Best-of-Set ließ u. a. mit „The Unbreakable“, „Life is Hard Enough“, „Watch Me Sink“, „Lionheart“, „Pave Paradise“, „Something More Than Ink“, „The Machinist“, „Hard Bark On the Family Tree“ oder – zum krönenden Abschluss – „Watch Me Rise“ keine Wünsche offen.
Frontmann Patrick Flynn hielt sich mit Ansagen zurück, holte zwischendurch aber zu weitschweifigen Kommentaren zu Straight-Edge, Szenezusammenhalt und der Politik von US-Präsident Donald Trump aus. Daneben war er vorrangig damit beschäftigt, heranstürmenden Bühnentauchern auszuweichen und zumindest vereinzelte Textpasssagen ins wiederholt im Zuschauerraum verschwundene Mikro zu schreien. HAVE HEART, daran bestand keinerlei Zweifel, hatten mächtig Bock und der Pulk rastete in selten erlebter Weise komplett aus. Leidenschaftlicher kann eine Reunion unmöglich zelebriert werden.