In aller Kürze vorweg: Das „Punk in Drublic“ 2022 in Oberhausen war in weiten Teilen ein Festival zum Abgewöhnen. Wer nicht mehr über das Warum erfahren muss oder sich in seiner/ihrer vorgefertigten Meinung bereits auf Basis dieses verknappten Fazits bestätigt fühlt, kann an dieser Stelle aussteigen. Der Rest möge die folgenden Zeilen nicht allein als Resümee eines gescheiterten Konzert-Events betrachten, sondern mehr noch als Warnung verstehen. Denn die Corona-Pandemie hat in der Kulturlandschaft Spuren hinterlassen, die das Angebot perspektivisch entweder massiv ausdünnen und/oder zu einer massiven Verteuerung der Eintrittspreise führen werden.
Aber zum Anfang: Ursprünglich sollte die nordrhein-westfälische Station des Punk in Drublics in Gelsenkirchen stattfinden. Den ersten Strich durch die Rechnung machte Covid-19, den zweiten die laut Veranstalter erhebliche Ticketnachfrage. Die resultierte in die Verlegung nach Oberhausen, genauer in die Turbinenhalle. Oder besser: vor die Turbinenhalle. Zumindest laut Planung. Am Ende fand die Veranstaltung, Corona hin oder her, drinnen statt. Und die große Nachfrage wich einer Mischung aus plötzlichem Desinteresse und reichlich rückläufiger Tickets. Kurzum: Die Rentabilität geriet in Gefahr. Ergo wurde Outdoor zu Indoor und der Veranstaltungsrahmen auf ein Minimum reduziert. So weit, so naja.
Gespart wurde aber insbesondere am Sound. Denn der war über weite Programmteile so miserabel, dass jede Schülerband reumütig zu Kreuze gekrochen wäre. Nicht so in Oberhausen, wo die Reduktionsbestrebungen so weit gingen, dass bei den meisten Bands weder Bass noch Gitarre zu hören waren. Beim nachmittäglichen Auftakt von THE BOMBPOPS durfte man dahingehend noch auf ein Versehen hoffen. Die Pop-Punker*innen, bei denen Zweitstimme Jen Razavi nach dem Ausstieg von Poli van Dam ins (vokale) Zentrum gerückt ist, spielten wacker gegen den unterirdischen Raumklang an, konnten aber selbst mit gefälligen Songs des Kalibers „In the Doghouse“, „CA in July“, „Be Sweet“ oder „Notre Dame“ nicht mehr viel retten.
Mit DAYS N‘ DAZE stand danach Kontrastprogramm auf der Tagesordnung. Mit Upright Bass, Gitarre/Banjo, Waschbrett und Trompete bot das Quartett eine Mischung aus Mariachi-Rock und Cajun-Folk. Mit OLD MAN MARKLEY zeigte Fat Wreck schon in der Vergangenheit, dass solche Combos zur Abrundung von Festivals beitragen können. Bei „Fuck It!“ und „My Darling Dopamine“ kam denn auch erstmals Stimmung auf. So richtig wollte der Funke trotzdem nicht überspringen. Allein an der Akustik dürfte es nicht gelegen haben. Danach GET DEAD, auf dem Papier (oder Screen) mutmaßliches Highlight; in der Realität leider vom grottigen Klang nahezu versenkt.
Das Gros des Sets entstammte ihrem jüngsten (und absolut großartigen) Langspieler „Dancing With the Curse“ (2020) – u. a. „Pepperspray“, „Fire Sale“ und „8 Track“. Trotz beachtlicher Energieleistung war aber auch für GET DEAD an diesem Tag wenig zu holen. Die Fraktion aus Gitarre(n) und Bass hätten die Bühne ruhig verlassen können. Der Unterschied wäre marginal gewesen. Der wachsende Unmut über die Akustik war vielen Anwesenden glasklar anzusehen. Bei Ticketpreisen von rund 70 Euro darf, nein muss definitiv mehr drin sein. Apropos Erwartung: Das Punk in Drublic wird ja gemeinhin als Konzert- und Craft-Bier-Festival propagiert. Von Hipster-Hopfenschorlen (und dem Kontrast zur Essenz des Punks) kann gehalten werden, was will, aber selbst in dieser Hinsicht war Magerkost angesagt.
Es blieb Pils vom Fass, das durch die knackigen Merch-Preise (Basispreis für T-Shirts: 30 Euro) immerhin zum kontinuierlichen Nachfüllen einlud. Einen Außenbereich gab es auch, allerdings wirkte der eher wie eine milde Geste Richtung Raucherfraktion und wurde überdies allein durch eine steile Treppe zugänglich. Bleibt, zumindest aus organisatorischer Sicht, die Verköstigungsecke. Dort gab es Asia-Glutamatpfanne, einen beständig überlaufenen Frittenstand und eingeschweißte Fertigblechpizza aus der Convenience-Hölle. Dazu wurden Brezeln gereicht. Für die Elektrolyte. Das Zwischenfazit fällt selbst aus beinharter Optimistenwarte ernüchternd aus. Aber wie immer: Es war ja nicht alles schlecht. Allerdings standen dem Weg zur Besserung noch IGNITE im Wege.
Der Hardcore-Punk-Klassiker, der mit dem neuen Frontmann Eli Santana den goldrichtigen Ersatz für den zum Schauder-Pop-Rock konvertierten Zoli Téglás verpflichten konnte, traf auf angestaute Partylaune. Der Pulk wollte mitgehen, was bei Hits wie „Anti-Complicity Anthem“, „Bleeding“, „Embrace“, „Sunday Bloody Sunday“ oder „Veteran“ auch nicht schwergefallen wäre. ABER… da war ja noch der Sound. Das erste Drittel des Sets wirkte, als hätten die Kalifornier den Soundcheck verschlafen. Danach wurde es besser. Zumindest ein bisschen. Santana, der wie ein Derwisch über die Bühne fegte, tat, was er konnte. Am Ende blieb aber auch dieser Auftritt vom Ärger über die unbekömmliche Klangsoße geprägt.
Erstaunlicherweise änderte sich das bei TALCO. Die italienischen Ska-Punks, die an diesem Abend noch den geringsten Reiz verströmten, lieferten bei unverhofft verbessertem Sound eine Darbietung mit Unterhaltungswert. Bei Songs der Kategorie „St. Pauli“, „Radio Countdown“ oder „Danza Dell’autunno Rosa“ kann sowieso nicht viel schiefgehen. Im vorderen Hallendrittel stieg die Stimmung, viele andere nutzten den Auftritt fürs Schlangestehen in der Futtersektion. Danach hielt das Festival endlich, was es versprach. Denn die All-Star-Cover-Clowns von ME FIRST AND THE GIMME GIMMES zeigten (mit CJ Ramone am Bass!), wie ein Pulk angeheizt wird. Und da auch das Mischpult endlich adäquat bedient wurde, kam dann doch noch die erhoffte Partystimmung auf.
Gespielt wurden viele (haha) alte Stücke, darunter „Me and Julio Down By the Schoolyard“, „Sweet Caroline“ und „Rocket Man“. Dazu gab es immer gern geschmetterte Hits des Kalibers „Jolene“, „I Will Survive“ oder „Summer Time“. Nun können Band und Oeuvre im Grundsatz geteilte Auffassungen hervorrufen. An diesem Tag trugen ME FIRST AND THE GIMME GIMMES fraglos zur Ehrenrettung der Marke Punk in Drublic bei. So blieben zu routinierter Letzt NOFX, bei denen „Routinedarbietung“ tatsächlich das adäquateste Wort für eine Kurzzusammenfassung bildet. Stupide Zwischenansagen und papierflache Witze (El Hefe: „Me love you long time.“) wurden auf ein Minimum reduziert. Dafür gab es Hits in Serie. Was auch sonst?
Die mit 80 Minuten deutlich längste Darbietung des Abends umfasste – nach dem Klassiker-Intro „Time Warp“ – u. a. „Dinosaurs Will Die“, „Bob“, „Perfect Government“, „The Brews“, „Linoleum“, „Six Years on Dope“, „Idiots are Taking Over“, „Seeing Double at the Triple Rock“, „Franco Un-American“, „Stickin‘ In My Eye“ und „Kill All the White Men“. Die geschätzt 2.000 Anwesenden gingen angemessen steil und störten sich auch nicht daran, dass NOFX live schon mehr mitrissen. Aber irgendwie passte auch das zu einem Event, der wenig Werbung für das Punk in Drublic machte und obendrein die Befürchtung mehren muss, dass derartige Veranstaltungen durch die Zurückhaltung (oder auch: Unberechenbarkeit) des Publikums in Zukunft etwas anders – und vor allem rarer – gestaltet sind. Wenn aber schon gespart werden muss, dann bitte nicht an der Akustik!