03. – 04.08.2018 – Brakrock 2018 u. a. mit The Vandals, Mad Caddies, Satanic Surfers, Duffel (Belgien)

Schaulaufen der Hochkaräter. Oder: Brakrock 2018. Wer ein Festival in rundheraus intimer Atmosphäre (und ohne Sponsoring-Overload) erleben möchte, ist im beschaulichen Duffel bei Antwerpen genau richtig. Zwischen Bäumen, Burgruine und Deich finden mittlerweile drei Bühnen Platz, auf denen sich internationale Größen aus den Bereichen Punk und Hardcore tummeln. Die Erweiterung des „Ecofests“ auf zwei Tage hat dem überschaubaren Rahmen nicht geschadet. Dem bedingt massenhaften Zuschaueraufkommen ebenso wenig.

In der Spitze mögen es rund 2.500 Musikwütige aus verschiedenen Teilen Europas – vereinzelt gar dem Rest der Welt – gewesen sein. Dem „Höher, schneller, weiter“-Prinzip widerstreben die Organisatoren damit mit beachtlicher Vehemenz. Bands und Publikum jedenfalls war der Spaß an der Sache konstant anzumerken. Und da auch noch das Wetter mitspielte, wurde es ein wahres Festival-Highlight. Enttäuschungen waren also praktisch ausgeschlossen. Bestenfalls die sich komplett überschneidenden Auftritte auf River Stage und Ruin Stage bedingten einen (überflüssigen) planerischen Aufwand, der den von Bier und Sonne gepeinigten Kopf vor einige Herausforderungen stellte.

Nun aber zum Wesentlichen, der Musik. Der Simplizität wegen werden die erlebten Bands nachfolgend chronologisch angeführt.

Freitag, 3. August

18:00 Uhr, Wood Stage: Für den Auftakt nach Maß sorgten ADHESIVE. Die längst aufgelösten Schweden-Punks, die für die gute Sache (Flüchtlingshilfe) seit eineinhalb Jahren wieder ihre Kreise ziehen, präsentierten einen ihrer letzten Gigs überhaupt. Die Spielfreude war stattlich, das Set überragend (u. a. „Character Builder“, „Bubble Burst“, „On a Pedestal“, „Your World of Noones“, „Haven“, „Scent of Life“). Die Stimmung, vor allem im Lager der textsicheren Handvoll vor der Bühne, war ebenfalls vielversprechend. So durfte es weitergehen.

18:40 Uhr, River Stage: Ging es auch, denn mit THE QUEERS starteten im Anschluss gleich die nächsten Party-Granaten. Live verzichten Joe Queer und Mitstreiter bekanntermaßen auf ihre Surf-beeinflussten ruhigen Stücke und geben in bester RAMONES-Manier Drei-Akkorde-Vollgas. Mit bewährten Gassenhauern der Güteklasse „Tamara Is a Punk“, „Like a Parasite“ oder „See You Later Fuckface“ konnte ohnehin nichts schiefgehen. Ein durchweg spaßiger Auftritt.

19:25 Uhr, Wood Stage: Die altgedienten und immer unterhaltsamen VOODOO GLOW SKULLS gaben sich die Ehre. Am Mikro der Hardcore-Ska-Fraktion agiert mittlerweile DEATH BY STEREO-Frontmann Efrem Schulz, der mit Poncho und mexikanischer Wrestler-Maske den Anpeitscher gab. Der Pulk ging gut mit, was bei Stücken wie „Bulletproof“, „El Coo Coi“ oder „Drunk Tank“ auch nicht weiter verwundern sollte. Nur der Aufforderung, für ein Gratis-T-Shirt in den nahen Burggraben zu springen, wollte partout niemand nachkommen. Offenbar stimmte der Pegel bei den meisten Anwesenden noch nicht.

Beim Verfasser dieser Zeilen war das anders, weshalb D.R.I. (20:10 Uhr, River Stage) und/oder MUTE (parallel auf der Ruin Stage) als Erinnerungslücken verbucht werden müssen. Auch AUTHORITY ZERO (21:10 Uhr, Wood Stage) blieben in der persönlichen Wahrnehmung eher vage. Bedauerlich, denn soweit sich die Nebel lichten, war der Auftritt der Hardcore-Punks nicht weniger als großartig. Mehr als „Revolution“ wollte bedauerlicherweise nicht hängen bleiben.

22:00 Uhr, River Stage: Bei den MAD CADDIES war der Zustand ein wenig gefestigter. Die Ska-Institution legte einen schicken Auftritt auf die Bretter, setzte mit „Monkeys“, „Shoot Out the Lights“, „Mary Melody“ oder „Road Rash“ stimmungsvolle Ausrufezeichen und bot mit „She“ (GREEN DAY) sowie „…and We Thought That Nation States Were a Bad Idea“ (PROPAGANDHI) auch im Cover-Segment starke Momente. Ein rundum gelungener Auftritt und zugleich der schmissige Ausklang eines famosen Festival-Auftakts.

Samstag, 4. August

Der nicht minder heiße zweite Brakrock-Tag begann um die Mittagszeit mit: Yoga. Zu wuchtigen Punk-Rock-Klängen streckten die bewegungswilligen Unverkaterten ihre Glieder vor der Wood Stage. Sah drollig aus. Mehr aber auch nicht.

12:45 Uhr, River Stage: Den musikalischen Auftakt markierte die aus Belgien und den Niederlanden stammende Female-Fronted-Formation MARCH. Die bot rotzigen Rock mit ordentlicher Punk-Kelle. Vor der Bühne war jedoch noch nicht viel los. Die meisten Zuschauer tummelten sich am Rand im Schatten des angrenzenden Wäldchens. Trotzdem: ein stimmungsvoller Startschuss.

12:50 Uhr, Ruin Stage: Nahezu zeitgleich boten STEELE JUSTICE auf der kleinen Bühne hinter der idyllisch gelegenen Burgruine Hardcore-Punk mit treibenden Melodien und 90’s-Einschlag. Die Show, bei der auch Cover von SPANDAU BALLET („Gold“) und OFF WITH THEIR HEADS („Nightlife“) zum Zuge kamen, bereitete angenehme Kurzweil. Für diese Tageszeit genau das Richtige.

13:20 Uhr, Wood Stage: Punk mit sattem Hardcore-einschlag gab es von DARKO auf die Ohren. Die Briten legten eine energetische Performance auf die Bretter, gaben Kracher wie „Lifeblood“ oder „Time Pieces and Lock Shaped Hearts“ zum Besten und erinnerten dabei an die herausragenden A WILHELM SCREAM. An deren Klasse konnte zwar nicht vollends angeknüpft werden, sehenswert war der Auftritt dennoch allemal.

13:55 Uhr, Ruin Stage: Ebenfalls aus UK waren TEMPLETON PEK angereist, um ihren an RISE AGAINST angelehnten Punk-Rock zu präsentieren. Dabei berichtete das Trio vom Nächtigen auf Parkbänken und Bezahlung in Bier. Musik wurde auch gespielt, wobei Nummern wie „Damage Control“, „Nowhere to Hide“, „One More Enemy“ oder „The Aftermath“ souverän ins Ohr gingen. Vor allem soundtechnisch wenig herausragend, im Kern aber doch grundsympathisch.

14:30 Uhr, Wood Stage: Für das erste Tages-Highlight sorgten THE BOMBPOPS. Die kalifornischen Female-Fronted-(Pop-)Punks aus dem Fat-Wreck-Raster berichteten von regem Stuhlgang und legten eine Show mit spürbarer Spielfreude und großem Unterhaltungswert hin. Das Set hatte mit „Brake Lights“, „Be Sweet“ oder „Dear Beer“ einige Hits zu bieten und wie viel Vergnügen Sängerin Poli van Dam das Festival bereitete, ließ sich bereits daran ermessen, dass sie bei diversen anderen Bands zum Bühnentauchen ausholte.

15:10 Uhr, River Stage: Mal wieder klassische Schweden-Kante. Mit den publikumsnahen VENEREA, unsinnigen Ansagen und einem ganzen Sack voller alter und neuer Hits. Der Pulk ging trotz brennender Sonne stattlich ab und feierte Knaller wie „Calling Card”, „Love is a Battlefield of Wounded Hearts“, „Woodfall“, „Shake Your Booty“, „The Beans and the Grinder“ und „Kangaroo“ zünftig ab. Eine rundheraus steile Party!

15:50 Uhr, Wood Stage: Für eine gute Zeit sorgten auch die wieder zusammengefundenen THIS IS A STANDOFF. Die aus den Überresten von BELVEDERE hervorgegangenen Kanadier tischten klassischen Melo-Core mit spürbarem STRUNG OUT-Anklang auf, stießen auf ausreichend Gegenliebe und gestalteten die Wartezeit auf USELESS ID angenehm kurzweilig.

16:30 Uhr, River Stage: Die als Ersatz für die FLATLINERS ins Programm gerutschten USELESS ID markierten einen fraglosen Höhepunkt des Festivals. Die israelischen Pop-Punks zündeten ein Feuerwerk der guten Laune und bescherten sich und dem Publikum eine grandiose Zeit. Das durch sämtliche Schaffensphasen pflügende Set, u. a. bestehend aus „Deny It“, „We Don’t Want the Airwaves“, „Night Shift“, „Always the Same“ und „Genetic“, brachte genug Schmiss und Tempo mit, um den Pulk in Bewegung zu halten. Die Show hätte auch zwei Stunden dauern können. Ermüdungserscheinungen auf wie vor der Bühne wären wohl keine aufgekommen.

18:00 Uhr, River Stage: Mit dem Auftritt von THE LAWRENCE ARMS kamen allmählich die Hochkaräter zum Zuge. Allerdings war Sänger/Bassist Brendan Kelly dermaßen besoffen, dass die Stimme bei den mehr gelallten als gesprochenen Ansagen reichlich Schieflage aufwies. Auf seinen Gesang hatte das kurioserweise kaum Einfluss, so dass das Trio aus Chicago eine unter dem Strich souveräne Leistung abrief. Ein paar mehr alte, respektive laute Stücke hätten es sein dürfen, die dicht gedrängte Meute vor der Bühne wurde mit „Great Lakes/Great Escapes“, „Alert the Audience!“, „Seventeener“ oder „Beaufiful Things“ aber gut bedient.

18:55 Uhr, Wood Stage: Mit BAD COP / BAD COP trat darauf die nächste weiblich geprägte Fat-Wreck-Combo auf. Den vier Damen war die Freude – insbesondere über das ausgelassen zu Werke gehende Publikum – merklich anzusehen und ihr mit Krachern wie „I’m Done“, „Womanarchist“, „Broken“, „Warriors“ oder „Victoria“ gespickter Auftritt gab schlicht keinen Anlass zur Klage. Der Sound war erstklassig, der Einsatz aller Beteiligten sowieso. Punk-Rock mit Herz, Hirn und hehrer Botschaft. So muss das sein!

19:40 Uhr, River Stage: THE MENZINGERS taten es den klanglich ähnlich gearteten THE LAWRENCE ARMS nach und brachten vornehmlich ruhige Stücke ins Set (u. a. „After the Party“, „Toy Soldier“, „Thick As Thieves“, „Midwestern States“) ein. Gefeiert wurden die Mannen aus Philadelphia dafür fraglos, eine Spur begeisterungsfähiger hätte der raue, temporeduzierte Punk jedoch ausfallen dürfen. Ganz nett, aber nicht zwingend mitreißend.

19:35 Uhr, Ruin Stage: Also lohnte ein Abstecher zu CHASER, die ihren melodischen Hardcore-Punk auf die kleinste Bühne brachten und den davor tosenden Mob mit beeindruckender Wucht zum Kochen brachten. Die Kalifornier setzten mit Nummern wie „Bet It All“, „A Million Reasons“, „Numb America“ und „Bonfire“ packende Ausrufezeichen auf den kleinen Brettern und ließen sich zu Recht feiern. Eine starke Darbietung!

20:35 Uhr, Wood Stage: Klassisch wurde es mit T.S.O.L., einem waschechten Punk-/Hardcore-Urgestein. Musikalisch ging es vornehmlich punkig zu, von den verschiedenen Stilgattungen, die die US-Westküstler im Laufe ihres fast 40 Jahre währenden Werdegangs in ihre Musik einbrachten, war nicht wirklich viel zu spüren. Mit „80 Times“, „World War III“, „Abolish Government“, „Silent Majority“ oder „Property is Theft“ waren stattliche Hits vertreten, im Vergleich zu anderen Bands dieses Tages dienten die Wegbereiter vielen Anwesenden aber eher als Randbeschallung.

21:25 Uhr, River Stage: Der absolute Höhepunkt des Brakrock hatte einen Namen: SATANIC SURFERS. Der Skate-Punk-Klassiker fuhr vertretungsweise – zum ersten Mal seit fast 20 Jahren – Sänger Rodrigo als Drummer auf. Mit der für eingefleischte Fans entscheidenden Konsequenz, dass er nun mal keine nach der Jahrtausendwende geschaffenen Songs beherrscht. Also wurde das 95er-Prachtwerk „Hero Of Our Time“ nahezu komplett gespielt, dazu selten präsentierte (oder partout verweigerte) Ur-Kracher wie „Nun“, „Sunshiny Day“ und „Don’t Skate On My Ramp“. Vor der Bühne erklomm die Ausschweifung immer neue Höhen und der vom textsicheren Pulk aufgewirbelte Staub wirkte fast wie ein Teil des Bühnenprogramms. Ein schlicht grandioser Auftritt!

22:25 Uhr, Wood Stage: Der nächste Knaller wartete mit THE LILLINGTONS. Die Blaupause von TEENAGE BOTTLEROCKET, deren Co-Frontmann Kody Templeman passenderweise am Mikro steht, blieb lange ein Geheimtipp, hat sich nach mehr als 20 Jahren des Bestehens, unterbrochen von verschiedenen Schaffenspausen, aber zur festen Größe gemausert. Der Pop-Punk im RAMONES-Stil greift häufig auf B-Film-Themen zurück, was Songs des Kalibers „I Saw the Apeman (On the Moon)“, „Don’t Trust the Humanoids“, „X-ray Specs“, „Invasion Of the Saucerman“ oder „I Got Abducted By a UFO“ auch live zum trefflichen Zeitvertreib machte.

23:15 Uhr, River Stage: Ihrer Rolle als Headliner kamen THE VANDALS mit gewohnter Lässigkeit nach. Ein nicht unerheblicher Teil der zur Verfügung stehenden Bühnenzeit wurde mit heiteren Absurditäten verquatscht, dazwischen gab es bewährte Hits wie „It’s a Fact“, „People That Are Going to Hell“, „Live Fast Diarrhea“, „Oi to the World“, „And Now We Dance“, „Anarchy Burger“, „My Girlfriend’s Dead“ und (natürlich) „I Have a Date“. Die Spaß-Punks machten ihrem Ruf alle Ehre, die Bewegungsfreude vor der Bühne nahm angesichts der zunehmenden körperlichen Beeinträchtigung zahlreicher Anwesender jedoch merklich ab.

23:15 Uhr, Ruin Stage: Zeitgleich, so wurde es später berichtet, gaben NOTHINGTON eines ihrer umjubelten Abschiedskonzerte. Das Set der US-Punks soll prächtig gewesen sein, der Sound eher weniger. Dennoch: Enttäuschte Gesichter ließ der Anfang 2019 den Dienst quittierende Vierer keine zurück.

Für diesen Festival-Zeugen war das Brakrock damit beendet. Zwar folgten noch vereinzelte Programmpunkte, die der individuellen Wahrnehmung aus Gründen akuter Übernächtigung aber vorenthalten blieben. Insgesamt jedoch unterstrich das Brakrock seinen Status als Festival-Geheimtipp. Die Besucher hatten mächtig Bock, die Bands ebenso. Auch die ungezwungene Organisation leistete ihren Beitrag zum rundum großartigen Erlebnis.

Als kleiner Höhepunkt am Rande muss noch das geschätzt 10-jährige Mädchen erwähnt werden, das von seinem Vater von jedem Pogo-Pit unbeeindruckt zu dieser oder jener Bühne getragen und zum Stagediven vor den spielenden – und nicht minder beeindruckten Musikern – abgestellt wurde. Die Partizipation an sich, dazu die Vielzahl an Händen, die das Mädel mit gebotener Rücksicht durch die Reihen trugen, konnten einem tatsächlich den Glauben an eine aufstrebende Folgegeneration im Punk zurückgeben. In diesem Sinne: Bis zum nächsten Jahr!

Fotos: Thomas & Ivo

scroll to top