Wenn die Gondeln Trauer tragen (GB/I 1973)

wenndiegondelntrauertragenEin Kind ertrinkt. Der Vater, den eine Ahnung ins Freie an den nahen Teich treibt, kann nur noch den leblosen Körper aus dem Wasser ziehen. Die Intensität der schauspielerischen Darbietungen lässt sich bereits anhand dieser Anfangssequenz trefflich festmachen. Donald Sutherland („Die Körperfresser kommen“) gibt Kirchenrestaurator John Baxter mit großer Hingabe und verleiht seinem Schmerz eindrucksvoll Ausdruck. Einen entscheidenden Teil zur unmittelbaren Beklemmung bei trägt auch die Inszenierung Nicolas Roegs („Eureka“), der seine Karriere als Kameramann („Fahrenheit 451“) begann und ein untrügliches Gespür für Bilder beweist, deren strenge Komposition – im Zusammenspiel mit der famosen Montage Graeme Cliffords („The Rocky Horror Picture Show“) – größtmögliche Wirkung erzielt.

Nachdem Johns Frau Laura (nicht minder ausdrucksstark: Julie Christie, „Doktor Schiwago“) den Tod der kleinen Tochter bemerkt und ihrem Entsetzen mit einem Schrei Ausdruck verliehen hat, springt Roeg von der englischen Provinz ins malerische Venedig, dessen herbstliches Ambiente romantischen Postkartenkitsch rigoros ausblendet. In der Lagunenstadt soll John eine Kirche auf Vordermann bringen. Laura begleitet ihn, nur der gemeinsame Sohn bleibt in einem Internat in der Heimat zurück. Wie viel Zeit seit dem tragischen Kindstod vergangen ist, bleibt offen. Aber Roeg zeigt, dass die Eheleute den Versuch unternehmen, zur Normalität zurückzukehren. Der allerdings wird jäh unterbrochen, als die beiden in einem Restaurant den schottischen Schwestern Wendy und Heather begegnen.

Die, gespielt von Clelia Matania („Nofretete – Königin vom Nil“) und Hilary Mason („Z-Cars“), geben Rätsel auf. Denn Masons Heather ist zwar blind, verfügt nach eigenem Bekunden aber über hellseherische Fähigkeiten. Sie eröffnet Laura, dass ihre ertrunkene Tochter bei ihnen wäre, worauf die leidende Mutter in ein Stadium freudiger Erregtheit verfällt. John hingegen bleibt skeptisch. Dabei ist ausgerechnet er es, der plötzlich zunehmend eine kleine Gestalt mit roter Regenjacke in der Stadt erblickt. Und da die Tochter zum Zeitpunkt ihres Todes einen solchen Mantel trug, kehren rasch übersinnliche Vermutungen ein. Doch die Spurensuche birgt Gefahren. Denn in Venedig treibt ein Mörder sein Unwesen, der Polizei und Öffentlichkeit Rätsel aufgibt.

„Wenn die Gondeln Trauer tragen“, dessen lautmalerischer deutscher Titel den bisweilen surrealen Ton besser trifft als sein Original „Don’t Look Now“, ist ein mysteriöses Drama, das sich über unheimliche Vorzeichen dem Grusel-Thriller nähert. Die suggestive Bildsprache und die freizügige, Anfang der Neunzehnsiebziger kontrovers diskutierte sexuelle Darstellung weisen den meisterlich gestalteten Film als seiner Zeit weit voraus aus. Roeg bricht radikal mit erzählerischen Konventionen und verdichtet die schleichend ausgebreitete Geschichte, basierend auf einer Short Story von Daphne Du Maurier („Die Vögel“), zu einem Alptraum, dessen Andeutungen sich in einem denkwürdig verstörenden Finale entladen. Doch nicht erst am Schluss ergeht sich Roeg in Brüche, die der Erwartungshaltung des Zuschauers konstant zuwiderlaufen. Ein brillantes, bewegendes und nachhaltig verstörendes Filmwerk.

Wertung: 9 out of 10 stars (9 / 10)

scroll to top