Schattenväter (D 2005)

schattenvaeterWilly Brandt, der erste sozialdemokratische Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, trat im Mai 1974 zurück. Gestolpert war der Friedensnobelpreisträger, der sich vehement für eine Entspannung im Ost-West-Konflikt einsetzte, über seinen engsten Berater Günter Guillaume, der als DDR-Spion enttarnt und zusammen mit seiner Frau Christel inhaftiert wurde. Guillaumes Sohn Pierre, der heute den Nachnamen Boom trägt, war damals 17, Brandts Filius Matthias 12 Jahre alt. Ihnen widmet Doris Metz den Dokumentarfilm „Schattenväter“, der einen zunehmend intimen Blick der wenig Beachteten, der Kinder derjenigen abbildet, die deutsch-deutsche Geschichte schrieben.

Im Wechsel begleitet Metz die Rückkehr der beiden an die Stationen dieser Zeit. Für Brandt, von Beruf Schauspieler, der Günter Guillaume im Fernsehfilm „Im Schatten der Macht“ selbst verkörperte, bedeutet dies in der Hauptsache Bonn. Er beschreibt den „unheimlichen Brandt“, den großen Staatsmann, der zugleich ein ungelenker Familienmensch war. Das Verhältnis zum Vater, den er einen „emotional Behinderten“, einen „mit dem man vorsichtig umgehen musste“ nennt, gestaltete sich schwierig. Die vielleicht größte Überraschung des Films liegt darin, dass nicht nur Pierre Booms Vater für ihn ein Rätsel geblieben ist. Es geht also um zwei Söhne, auf denen die Schatten der Väter lasten und die seit jeher versuchen, aus diesen herauszutreten.

Pierre Boom, der „Sohn eines Verräters“, kehrte 1975 in die für ihn fremde DDR zurück. Heimat- und bodenlos habe er sich gefühlt, zerrissen zwischen Elternbesuchen in Köln/Bonn und dem Alltag im sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaat. Dazu gehörten auch die Betreuer des Ministeriums für Staatssicherheit. Der junge Guillaume wurde Journalist und musste den Nimbus der Eltern auch nach deren Austausch 1981 ertragen, als die mittlerweile geschiedenen Spione in den Propagandaapparat des Sozialismus eingespeist wurden. Die Entfremdung nahm dadurch nur mehr zu. Für ihn, der über den Vater 2004 ein Buch schrieb, wird die Suche nach dem wahren Ich der eigenen Eltern wohl nie zu Ende gehen.

Abgerundet durch originales Bild- und Tonmaterial zeichnet „Schattenväter“ allein durch persönliche Statements die völlig unterschiedlich verlaufene Entwicklung der Söhne in dieser für sie schwierigen Zeit nach. Doris Metz folgt keiner strikten dramaturgischen Ordnung, sondern entspricht über den Zusammenschnitt von Auszügen und Anekdoten eher der Chronologie. Daraus entsteht ein Film, dem es um den Übergang des Politischen ins Private geht, nicht die reine politische Aufklärung. In der letzten Szene werden Pierre Boom und Matthias Brandt wortlos zusammengeführt. Ein nicht unbedingt spannender, aber doch sehr bewegender Film.

Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

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