PTU (HK 2003)

ptuJohnnie To zählt zu den etabliertesten Regisseuren Hongkongs. Mit Filmen wie „The Mission“, „Running Out of Time“ oder „Fulltime Killer“ überzeugte er Kritiker und Publikum gleichermaßen. Allerdings muss ihm attestiert werden, dass gerade seine jüngeren Werke zu durchgestylt erscheinen, inhaltliche Geschlossenheit oftmals hinter schicken Bildern zurücksteht. Eines von Tos besten Werken ist „PTU“, bei dem er mit detaillierter Beobachtungsgabe um einen urbanen Mikrokosmos kreist, der die Schicksale verschiedener Personen in einem Milieu zwischen Justiz und Verbrechen vorführt. Im Stile von Altmans „Short Cuts“ webt er verschiedene Handlungsstränge und -ebenen und lässt sie in einer finalen Klimax zusammenlaufen.

Sehenswert ist allein die Auftaktsequenz: Die Gang des Kleinkriminellen Ponytail betritt ein Restaurant im nächtlichen Hongkong. Die jungen Männer spielen sich auf, werden vom Inhaber aber aufgrund ihres Hintergrunds bevorzugt behandelt. Kurz darauf taucht der gefürchtete Sergeant Lo San (Suet Lam, „Kung Fu Hustle“) auf und weist die Gangster wortlos in ihre Schranken. Während der Anführer sitzen bleibt, verlassen seine Handlanger das Geschäft. Lo tut es ihnen gleich und wird in eine Verfolgung verwickelt, als einer der Ganoven sein Auto beschädigt. Während der Polizist in einen Hinterhalt gerät und zusammengeschlagen wird, ersticht ein unbekannter Killer Ponytail. Als der Sergeant wieder zu sich kommt, ist seine Dienstwaffe verschwunden.

Glänzend spielt Johnnie To mit der Positionierung der Figuren im Raum, unterteilt das Bild in mehrere Ebenen. Die szenischen Übergänge vollziehen sich fließend, die erzählerische Dynamik ist schlichtweg meisterlich. Die gesamte Ereigniskette nimmt in ihrer verspielt genialischen Narration gar absurde Züge an, weicht in der Folge aber klugerweise einer Reduktion auf die dramaturgisch ernsten Aspekte. Die Ausgangssituation der verlorenen Pistole erinnert an Kurosawas „Ein streunender Hund“, die grobkörnige Charakterzeichnung an Hollywoods Schwarze Serie. Den Protagonisten, ob Verbrecher oder Gesetzeshüter, haftet eine Aura der Korrumpierbarkeit und Rechtsauslegung nach eigenem Maßstab an, was die Figuren mit der Dunkelheit der düsteren Metropole verschmelzen lässt.

Die PTU – Police Tactical Unit – unter Führung des erfahrenen Mike Ho (Simon Yam, „Bullet in the Head“) ist Lo San bei der Suche nach seiner Waffe behilflich und übertritt dabei wiederholt die Grenze ihrer Zuständigkeit. Denn Ponytail war der Vater einer einflussreichen Unterweltgröße, die nun alles daran setzt, Vergeltung zu üben. In elegischer Erzählform, langen Einstellungen und stark gedrosseltem Tempo streift die Kamera durch die Nacht, illustriert den schmalen Grat zwischen Recht und Unrecht. Der balladeske Großstadt-Thriller wechselt kontinuierlich die Perspektive, von Gangstern zu Ordnungshütern. Unter denen ist auch die interne Ermittlerin Leigh Cheng (Ruby Wong, „Running Out of Time“), die Lo ins Visier einer Untersuchung nimmt.

Mehr als sein bisheriges Oeuvre ist Johnnie Tos „PTU“ ein klassischer Ensemblefilm. Mit guten Darstellerleistungen und konstanter Atmosphäre verstricken sich die gesponnenen Fäden zu einem packenden Knäuel. Nicht alle Wendungen sind glaubwürdig, doch tragen die überzeugenden Charaktere maßgeblich zum Gelingen der Geschichte bei. Traditionelle Sympathieträger braucht es dazu nicht. Auf Action wird fast vollständig verzichtet, erst die finale Konfrontation am Hafen, bei der die einzelnen Handlungsträger aufeinander treffen, räumt Gewalt den Vorzug ein. Entsprechend werden Baller-Puristen dem Film wenig abgewinnen können. Wer sich allerdings auf die punktierte Betrachtung der großstädtischen Schattenseiten einlässt, erlebt nicht weniger als einen Höhepunkt des modernen Hongkong-Kinos.

Wertung: 7.5 out of 10 stars (7,5 / 10)

 

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