Lady Snowblood (J 1973)

lady-snowbloodNicht erst die innovative Wonnedekade der goldenen 70er Jahre trug die Erkenntnis ans Tageslicht, dass der Japanische Film seiner Zeit weit voraus war. In ihrem Heimatland nicht selten umstrittene Regisseure wie Akira Kurosawa („Ein streunender Hund“, „Die sieben Samurai“) und Kinji Fukasaku („Graveyard of Honor“, „Street Mobster“) prägten das Antlitz des Nachkriegs-Kinos über kontinentale wie gleichwohl ideologische Barrieren nachhaltig. Ruhm und Anerkennung für diese Verdienste sollten spät – und vornehmlich aus dem Westen – folgen.

Heutzutage – im Zeitalter des Schlagwortes ‚Retro’ – gehört es in kunstschaffenden Kreisen längst zum guten Ton, den Kreativen vergangener Tage Tribut zu zollen. Rädelsführer der Filmindustrie auf diesem Gebiet ist Regisseur Quentin Tarantino. Dessen überambitioniertes – wohlgemerkt nicht überragendes – Action-Opus „Kill Bill“ bildet die augenblickliche Speerspitze einer Entwicklung, die sich mehr oder weniger ehrfurchtsvoll am Erbe der großen asiatischen Filmemacher delektiert. Doch muss man derlei Trends – und Quentin Tarantino – zugute halten, dass ohne dies Zutun diverse Werke auch weiterhin ein Schattendasein der Unbekanntheit fristen würden. Beispielsweise der extraordinäre Genre-Klassiker „Lady Snowblood“ von 1973, der dank steigendem Interesse seitens der Zuschauer und Rapid Eye Movies nun erstmals auch in Deutschland erscheint.

Yukis (Meiko Kaji, „Yakuza Graveyard“) Familie wird fast völlig ausgerottet, lange bevor ihr trauriges Dasein in einem Frauengefängnis beginnt. Von einer Bande skrupelloser Verbrecher überfallen, muss Yukis Mutter Sayo (Miyoko Akaza, „Goodbye for Tomorrow“) erst den brutalen Mord an ihrem Ehemann (Masaaki Daimon, „2009 – Lost Memories“) und dem gemeinsamen Sohn erdulden, ehe sie von den Kriminellen verschleppt und geschändet wird. Zwar kann Sayo einen ihrer Peiniger Töten, doch wird sie dafür zu lebenslanger Haft verurteilt.

Das Ziel heißt grausame Rache. Aus diesem Grund spreizt Sayo die Beine für ihre Wärter, erträgt jedwede Erniedrigung für eine planmäßige Schwangerschaft mit kühler Gelassenheit. Bald gebiert sie eine Tochter und verstirbt, noch ehe das Kind auf die Welt gebracht wird. Bis zu ihrem 20. Lebensjahr wird Yuki von einem alten Mönch mit aller Strenge in der Kunst des Tötens ausgebildet. Als der Tag der Abrechnung mit den Verantwortlichen der einstigen Bluttat anbricht, macht sich die junge Frau mit einer Namensliste auf, ihr Schicksal zu erfüllen und Tod und Verderben über ihre Feinde zu bringen.

In verschachtelten Rückblenden erzählt Regisseur Toshya Fujita („Revolver“) die tragische Vorgeschichte seines imposanten Rachestreifens. Dabei siedelt er den Kontext vor dem politischen Hintergrund der Meiji-Ära – dem konfliktreichen Ende Jahrhunderte überdauernder Isolation Japans – an. In betörender Ausstattung und metaphorischer Bildsprache wird der dramatische Hintergrund der emotionslosen Hauptfigur beleuchtet. Deren Lebensinhalt ist das Töten, für eine Familie, die sie niemals hatte, für eine Mutter, die sie niemals kannte. Yuki ist das ungeliebte Instrument der Rache, eine leblose Hülle des Todes. Mit eiskalter Präzision erledigt sie ihre Aufgabe. Doch schrumpft der Platz im Leben der jungen Assassinin mit jedem durchgestrichenen Namen auf ihrer Liste.

Stilistisch begeistert Toshya Fujitas virtuos bebilderte Swordsplay-Tragödie durch die Vermengung verschiedener inszenatorischer Techniken. Fotomontagen, bewegte Abläufe gezeichneter Bilder, das Umschalten auf Handkamera und in schwarz-weiße Farbgebung getauchte Übergänge künden weniger vom experimentellen Bestreben der Macher als vielmehr von der mehrdimensionalen Erzählstruktur des gesamten Werkes. Denn auch die Opfer Yukis werden nuanciert charakterisiert und anhand einer strukturierten Kapitelung aufgezeigt und abgearbeitet. Entsprechend der japanischen Trauerfarbe ist weiß die prägnanteste Farbe des Films. Jede Einstellung ergibt einen Sinn, jedes gesprochene Wort hat seine unbestreitbare Berechtigung. Der Schnitt ist dabei so hart wie die aufgezeigte Gewaltdarstellung.

Das Blut fließt in Strömen, ergießt sich wie Wasser aus aufgeschlitzten Leibern und durchtrennten Gliedern. Die Kampfsequenzen sind in ihrer schonungslosen Kürze perfekt in Szene gesetzt, schlagen eine intensive Brücke zwischen (seinerzeit) zeitgemäßer Exploitation und tiefblickender Charakterstudie. Neben den bekannteren „Okami“- und „Zatoichi“-Filmen verkörpert „Lady Snowblood“ die endgültige Ästhetisierung aus zerfetzten Körpern und sprudelnden Blutfontänen. Doch steht die Gewalt entgegen der exploitativen Zwischentöne nicht im Vordergrund, sondern ordnet sich der Dramaturgie der intensiven Geschichte unter.

Basierend auf der illustrierten Vorlage von „Okami“-Zeichner Kazuo Koike ist „Lady Snowblood“ gänzlich auf seine exzellente Hauptdarstellerin Meiko Kaji – die nur ein Jahr später in „Love Song of Vengeance“ erneut in ihre Paraderolle als bleiche Killerin schlüpfte – zugeschnitten. Toshya Fujita initiiert mit ihr einen martialischen weiblichen Gegenpol zum männerdominierten Genrespektrum eines Tomisaburo Wakayama oder Shintaru Katsu und steht den Heroen des Japanischen Kinos in Sachen Kompromisslosigkeit und Tiefgang in nichts nach. Denn „Lady Snowblood“ ist vom packenden Auftakt bis zum bitteren Ende ein absolutes Meisterwerk, welches auch nach mehr als drei Jahrzehnten kein Quäntchen seiner anmutigen Schönheit eingebüßt hat. Und das allein macht diesen Film beständiger, als es Tarantinos „Kill Bill“ je sein könnte.

Wertung: 9 out of 10 stars (9 / 10)

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