Keoma – Melodie des Sterbens (I 1976)

keoma„Es ist leicht, einen zu töten der schon tot ist.“ – Keoma

Ein Film spaltet das Publikum. Die einen sehen in „Keoma – Melodie des Sterbens“ das brillante Spätwerk des Spaghetti-Westerns, die anderen die überschätzte, an überfrachteter Symbolik krankende Sozialparabel. Manche dieser Zwiespalte machen ihn groß. Andere wiederum reduzieren seine Klasse. Die Musik zum Beispiel, die mit wiederkehrendem Einsatz einer penetranten Frauenstimme in aufgesetzte Klagelieder verfällt. Zuweilen am Rande der Erträglichkeit. Dann aber scheint wieder die formale Stilisierung durch, die fürwahr visuell großartige Sequenzen auftischt. Wie jene, in der Hauptdarsteller Franco Nero („Django“) seine Gegner an den Fingern einer Hand abzählt und für jeden davon gesenkten ein Antagonist sichtbar wird.

Enzo G. Castellari, der sich 1993 mit „Die Rache des weißen Indianers“ nach annähernd identischem Schema an einer Wiederbelebung des Italo-Westerns versuchte, schwelgt in Verlangsamung. Gerade bei der Gewalt. In einer Sequenz schießt Nero einen Gegner aus kurzer Distanz mit einer doppelläufigen Flinte vom Pferd. Aus den Einschusslöchern ergießt sich Blut, während der Rückstoß den tödlich getroffenen in Zeitlupe aus dem Sattel hebt. Nicht umsonst führt Quentin Tarantino „Keoma“ als sein Wirken inspirierendes Werk an. Die Form gebietet über den Inhalt. Denn die Geschichte ist ungeachtet der darin transportierten Stellung gegenüber Vorurteilen und Fremdenfeindlichkeit reichlich dünn.

Keoma ist ein Halbblut, das nach dem Massaker an seinem Stamm von William Shannon (William Berger, „Sabata“) aufgezogen wurde. Sehr zum Unwillen der drei leiblichen Söhne – darunter Joshua Sinclair („Lady Frankenstein“), heute Drehbuchautor und Regisseur –, die schon in der Kindheit keine Gelegenheit ausließen, den Stiefbruder zu drangsalieren. Nach dem Bürgerkrieg kehrt Keoma verbittert in die Heimat zurück. Er, der die Menschen liebt, obwohl sie ihn meist mit Verachtung straften, versucht in einer aus den Fugen geratenen Welt zu sich selbst zu finden. Dem im Wege steht Ex-Südstaatenoffizier Caldwell (Donald O´Brien, „Lauf um dein Leben“), der die Gegend mit Terror überzieht.

Der vollbärtige Franco Nero glänzt als desillusionierter Außenseiter. An seiner Seite kämpft neben dem Partei gegen die eigenen Sprösslinge ergreifenden Ziehvater der ehemalige Sklave George (Woody Strode, „Spiel mir das Lied vom Tod“). Die düstere Nachkriegszeit ist geprägt von anhaltender Depression, die sich in ein apokalyptisches Szenario aus Gesetzlosigkeit, Furcht vor den Pocken und Rassismus bettet. Entmenschlichung grassiert. Die Keoma wiederholt begegnende Hexe folgt als Prophetin des Todes Motiven Shakespeares. Castellaris innovative Regie formt packende Action und glänzende Fotografie zu einem bitter pessimistischen Abgesang auf die entrückten Mythen des Westerns. Ungeachtet seiner Zwiespalte der letzte Klassiker eines sterbenden Genres.

Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

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