Interview mit Vito (Mai 2006)

Wenn sich eine Band VITO nennt, ihr Debütalbum „Vendetta“ heißt und das eigens für dessen Veröffentlichung gegründete Label den Namen „Sicillian Agreement“ trägt, sind entweder eingefleischte Fans von Coppolas „Der Pate“ am Werk, oder aber Musiker mit Sinn für Humor. Ersteres spielt bei den Berlinern eine nicht zu unterschätzende Rolle, letzteres überwiegt. Bei einer Combo ohne Bassisten kann das nur von Vorteil sein. An einem verregneten Frühlingsnachmittag treffen wir Sänger und Gitarrist Nikolaos Zorbas, Gitarrist Heiko Kumsteller und Drummer Daniel Röhrig in einem Kreuzberger Café. Ein Interview im klassischen Sinne erwächst aus dieser Begegnung nicht. Dafür ein angeregter Plausch, der fortwährend vom Hundertstel ins Tausendstel flaniert. Zum besseren Verständnis sind nachfolgend nur diejenigen Informationen aufgeführt, die tatsächlich den Anschein eines archetypischen Q&A-Interviews am Leben erhalten.

VITO sind Pilger. Die Jungs arbeiten sich ihre Ärsche wund, spielen wann immer möglich in allen Teilen der Republik und finden nebenbei gar noch die Zeit, ihr täglich Brot zu verdienen. Seit der Gründung von „Sicillian Agreement“ ist die Band ein Vollzeitjob. Die Hingabe, mit der das Trio seinen Traum lebt, ist bemerkenswert. Nur Berlin spielt dabei eine eher untergeordnete Rolle, steht den Ambitionen mitunter sogar im Wege. „In Berlin herrscht kein großer Zusammenhalt. Je öfter wir aus der Stadt rauskommen und außerhalb spielen können, desto mehr Kontakte knüpfen wir“, erzählt Daniel und führt im Bezug auf eine Tour zur Platte aus, dass die Verkettung von Einzelgigs durchaus den Anschein einer musikalischen Rundreise erwecken könne. Die Tricks, mit denen die Band dabei arbeitet, verdeutlicht die treibende Kraft hinter VITO. Da wird auch schon mal ein bekannter Laden für kleines Geld angemietet, um außerhalb von Berlin ein Konzert spielen zu können. Die Kosten für Miete und Benzin fließen dann in der Regel durch den Eintritt und Verkauf von Merchandise zurück in die Kasse. Eine Taktik, die sich in provinziellen Musikhochburgen wie Dormagen oder Regensburg erfahrungsgemäß auszahlt.

Die finanzielle Gratwanderung und das Risiko lassen sich erahnen. Ganz oder gar nicht. VITO leben ihren Traum – mit allen Eventualitäten und Konsequenzen. Wäre die Unterstützung durch ein Label in Fremdbesitz demnach nicht wesentlich entlastender? Sänger Nikolaos weiß eine Antwort: „Für uns ist „Sicilian Agreement“ die einzige Möglichkeit, Musik so zu machen, wie wir sie wollen.“ Die Umschreibung fällt schwer. Rock. Natürlich Rock, gern ein wenig Alternative. Darf es auch ein bisschen Post sein? Der Weg des Nachwuchses, sofern im Bestreben verwurzelt, sich als Band zu entwickeln, führt zwangsweise über die Versendung von Demos. „Klar haben wir verschiedene Labels angeschrieben. Es gibt ja genug, gerade im Indie-Bereich. Das Problem ist die Musik. Die renommierten Indie-Labels sind um uns herum fokussiert und machen entweder komplett Hardcore oder Emo“, spricht Heiko, während Daniel anfügt, dass viele Labels, gerade in Berlin, gerade Majors, momentan ohnehin nur diejenigen Bands unter Vertrag nehmen, die ihre Texte in Deutsch vortragen. „Es bringt nichts, pausenlos bei Labeln vorzusprechen. Momentan ist die Richtung von KAISER CHIEFS bis TOMTE sehr in. Aber in dieses Spektrum fallen wir einfach nicht.“ Heiko ergänzt: „Und bei manchen Indie-Labeln, die wir erlebt haben, da machen wir für uns jetzt schon weit mehr als die für ihre Bands.“ Ideologischer Sieg nach Punkten für VITO. Wäre da nicht der immense Arbeitsaufwand. „Das Management würden wir gern aus der Hand geben. Ich bin es leid, Abends von der Arbeit nach Hause zu kommen und noch bis in die Nacht für die Band zu schuften und irgendwo dazwischen mit irgendwelchen Presseleuten zu sprechen. Aber es ist nun mal so, dass wir versuchen Kontakte zu sammeln und die ganze Geschichte immer professioneller aufziehen. Jeder Kontakt, jeder der einen Artikel geschrieben oder ein Interview geführt hat, wird später noch einmal abtelefoniert, gefragt ob er die Platte haben will.“ Daniel tropft die Erschöpfung aus den Poren als er sagt: „Das mache ich übrigens den ganzen Tag.“ Den passenden Einwand findet Heiko: „Ich würde ja, aber ich muss den ganzen Tag Pizza ausfahren.“

Das Prinzip heißt Hartnäckigkeit. VITO würden ohne eine gesunde Portion Hartnäckigkeit kaum mehr bestehen. In den Anfangstagen, im Jahr 2002, begann die Gruppe zu viert, mit anderem Drummer und Daniel am Bass. Nach den ersten Konzerten streckte der Ur-Trommler die Sticks und verließ die Band. Daraufhin übernahm Daniel den Part am Schlagzeug und die Position am Bass wurde mit unbeständigen Ersatzleuten gefüllt – oder einfach außer Acht gelassen. „Begging“, der erste Song auf „Vendetta“, wurde in dieser Zeit geschrieben. Nikolaos erläutert dazu: „Wäre das erste Konzert ohne Bassisten nicht so positiv verlaufen, wir hätten vermutlich aufgegeben und uns aufgelöst.“ Die Jungs trafen die richtige Entscheidung, entdeckten im Verzicht auf Basseinsatz eine raue Frische und folgten dem Ruf der konsequenten Andersartigkeit. „Ein Bass würde zur Struktur unserer Musik kaum mehr passen“, merkt Heiko an. Ganz auf die fünf Saiten wird dennoch nicht verzichtet: „Bei ein paar Songs auf „Vendetta“ sind unterschwellig Basslines eingeflochten. Das aber auch nur vereinzelt, damit es nicht auffällt“, fügt Daniel hinzu. Und Recht hat er, aufgefallen ist es nicht.

VITO ist die Band ohne Bassist, die Band ohne Sparte. Berlin ist ihr zu Hause, ihre Bühne nur am Rande. Der Pfad des Trios ist nicht vorgezeichnet, sondern wird unter Entbehrungen entdeckt – in Eigenregie. Dem Zufall wird hier nichts überlassen. „Wenn du schon VITO heißt, dann muss dein Album auch „Vendetta“ heißen“, sagt Frontmann Nikolaos. Wer würde es wagen „dem Griechen“ in dieser Angelegenheit zu wiedersprechen? Eine Konversation mit den Jungs ist ein Erlebnis der besonderen Art. Nur Zeit sollte man mitbringen. Denn in den Narben dieses Mafia-Paten verbirgt sich eine Wahrheit über das Dasein als Musiker, die in ihrer Authentizität weit über das schillernde Postkartenmotiv der Plattenindustrie hinausreicht. Auf diesen Wegen alles Gute!

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