Interview mit Samiam (September 2006)

„Samiam is a band that has rocked for many moons.”

Ausgeglichen ist das Wort, welches den Gemütszustand von SAMIAM am treffendsten umschreiben dürfte. Nach 18 Jahren Bandgeschichte und der anstehenden Veröffentlichung ihres siebten Albums „Whatever’s Got You Down“ müssen die fünf Kalifornier wahrlich niemandem mehr etwas beweisen. Entsprechend befreit von jeglichem Druck präsentierten sich die Jungs beim Interview in Berlin. Auf Strandliegestühlen Platz findend, während im Umfeld die Außenkulisse des Sally’s Sounds-Festivals von eifrigen Händen für den baldigen Einlass vorbereitet wird, stehen mir die Gitarristen Sergie Loobkoff und Sean Kennerly Rede und Antwort. Es dauert nicht lange, da gesellt sich auch Sänger Jason Beebout zu uns. Das Glas Rotwein in seiner Hand kündet geradezu symbolträchtig von der umfassenden Entspanntheit der alteingesessenen Musiker.

Was in den vergangenen sechs Jahren, nach Erscheinen des letzten Albums „Astray“ geschehen ist, will ich wissen. Sergies Antwort, ob ich damit auf die von ihnen initiierten Pornofilme ansprechen wolle, führt gleich zu Beginn vor Augen, dass hier niemand mit einem ernsthaften Gespräch rechnet. Selbst wenn er im Anschluss jegliche Gerüchte über eine Auflösung der Band als Falschinformationen abstreift und sich angesichts der regen Fülle an Gerüchten darüber wundert, wieso nie jemand behaupten würde, sie alle verfügten über mächtig große Penisse. Die zeitweilig kindliche Albernheit unterstreicht trefflich das Selbstverständnis der Band. „Wir machen nichts, von dem wir denken, dass es uns keinen Spaß bereiten würde“, sagt Sean. „Allen voran nicht auf solchen Veranstaltungen wie dieser Tour zu spielen.“ Berlin ist der Abschluss der Sally’s Sounds, bei denen SAMIAM die Bühnen unter anderem mit den medial omnipräsenten BILLY TALENT teilen. „Wir genießen es, unterwegs zu sein. Auch dass sich die Kids fragen, wer denn die alten Säcke da auf der Bühne sind.“ Gelächter folgt. Jason fügt an, dass sie in ihrer Heimat Amerika ohnehin nicht in Konkurrenz zu Bands wie TAKING BACK SUNDAY oder FALLOUT BOY stehen würden. Unter anderem aufgrund ihres Alters.

Die Zielgruppe von SAMIAM unterscheidet sich nicht zuletzt durch ihre musikalische Verbundenheit zum Independent deutlich von kommerziell intensiver ausgeschlachteten Künstlern. Sergie bemerkt dazu: „Wir haben mit „Clumsy“ unsere Erfahrungen mit einem Majorlabel gemacht. Zwar eröffnet es mehr Möglichkeiten, setzt dich aber auch deutlich mehr unter Druck. Wir gehen nur ungern Kompromisse ein. Deshalb sind wir mit unserer Entwicklung auch sehr zufrieden.“ Wie viel Spielzeit ihnen auf der Tour zugestanden wird, frage ich in Anlehnung an die mangelnde Kompromissbereitschaft. „Wir spielen 40 Minuten“, sagt Sergie und fügt unter lautstarkem Lachen seiner Kollegen an: „Das ist sehr entspannend, vor allem weil die deutschen Fans keine Zugaben erwarten können. Hier müssen wir regulär immer 75 Minuten spielen. Und die Leute schreien immer noch nach mehr. In Amerika ist das anders. Wenn wir da nach einer Stunde „Stepson“ spielen kommt gleich die Frage auf, ob die guten Songs bereits alle gespielt wurden.“

Einen nicht unerheblichen Anteil an der internationalen Etablierung von SAMIAM hat auch die Zusammenarbeit mit Burning Heart Records, die seit „You Are Freaking Me Out“ die Geschicke der Band in Europa lenken. Eine Zusammenarbeit für die Ewigkeit? „Wir kennen die Leute bei Burning Heart, seit das Label in den Neunzigern ein Betrieb mit sieben Mitarbeitern war. Ein Wechsel stand nie zur Diskussion.“ Ergänzend legt Sergie aber nach, dass ihn die Übernahme von Burning Heart durch Epitaph ein wenig beunruhigt hätte. „Wir waren uns nicht sicher, ob sie weiterhin mit uns zusammenarbeiten würden. Wenn wir mal in Amsterdam waren, haben die Leute aus der europäischen Zentrale von Epitaph immer gefragt: ‚Who the fuck are you?’“ Abermals Gelächter. In der Zwischenzeit haben sich auch die übrigen Bandmitglieder, Drummer Johnny Cruz und Bassist Jeremy Bergo, eingefunden. Als Sergie den stumm beobachtenden Johnny fragt, ob ihre Wäsche schon fertig sei, antwortet dieser: „What do I look like – Asian?“ Ein Brüller, nicht nur durch Johnnys tatsächlich asiatisch angehauchtes Erscheinungsbild. Der stimmlich leicht heiser wirkende Jason platzt schier in seinem Liegestuhl.

Als sich die humoristischen Wogen glätten, reden wir über „Whatever’s Got You Down“. Die Platte bedeutet einen Schritt zurück zum raueren Ursprung von SAMIAM; ungeschliffener Sound paart sich mit großer Melodik. War die Abkehr vom Erfolgsrezept von „Astray“ in dieser Form beabsichtigt? Jason dazu: „Wir haben uns mit jedem Album weiterentwickelt. Das Ziel bei „Whatever’s Got You Down“ war eine Platte, die so gar nicht klingt wie die letzte.“ Das leuchtet ein. Auch ein neues Video sei angedacht, laut Sergie zum Titel „Storm Clouds“. Zwar rechnet niemand mit einer TV-Ausstrahlung, aber die in Amerika und mittlerweile auch Deutschland extrem populären Kommunikationsplattformen MySpace und YouTube garantieren eine weite Streuung. Gedanken an die Zukunft verschwenden SAMIAM nicht. Auf das Hier und Jetzt kommt es ihnen an. Und das bedeutet in erster Linie den Genuss des Lebens. Das stellten sie im weiteren Verlauf des Abends auf der Bühne unter Beweis. Und zu noch späterer Stunde auch auf der Aftershow Party im gegenüberliegenden Silver Wings, wo alle Beteiligten ihre Vorfreude auf die in Kürze stattfindende Europatour mit der HOT WATER MUSIC-Nachfolgeband THE DRAFT bekundeten. Diese führt sie wieder in die Hauptstadt. Für voraussichtlich 75 Minuten frenetisch bejubelte Klassiker des Indie-Rock.

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