Interview mit Narziss (Juni 2004)

Es erscheint durchaus ungewöhnlich, Metal-Core mit deutschen Texten zu versehen. Liegt der Ursprung dieser Entscheidung in der mangelnden Nähe nationaler Künstler zur deutschen Sprache ?

Ich glaube, der Ursprung liegt eher in der mangelnden Nähe der Künstler von Narziss zur englischen Sprache . Ich denke, dass es schon seit langem völlig selbstverständlich ist, in Englisch zu texten. Das wir auf Deutsch singen ist keine taktische Entscheidung gewesen. Darüber hat sich nie jemand Gedanken gemacht. Keiner von uns hat je daran gedacht, mit Narziss einmal mehrere Alben aufzunehmen und soviel Resonanz zu bekommen. Fakt ist für uns, dass wir uns so besser ausdrücken können und ebenfalls keine Lust haben, uns hinter sinnlosen englischen Floskeln zu verstecken. Das natürlich immer mehr Leute den Bezug zur deutschen Sprache und Literatur verlieren, ist nicht von der Hand zu weisen. Allerdings würde ich das auch nicht beklagen, denn es ändert sich eben alles und immer. Inzwischen sprechen mehr Ausländer Englisch als Muttersprachler und sie formen diese Sprache tagtäglich um – da ist wahrscheinlich das Englische mehr von Auflösungserscheinungen betroffen als das wesentlich schwerere Deutsch.

Das kürzlich erschienene zweite NARZISS-Album „Neue Welt“ wird auch in den USA veröffentlicht. Ist diese Überwindung der Sprachbarriere die größte Bestätigung Eurer Wirkungsweise ?

Ich denke, dass gerade das uns von der Masse der Import-Alben unterscheidet, allerdings auch viele Leute abschreckt. Aber nicht zu letzt feiern Rammstein auch riesige Erfolge in den USA, obwohl sie Deutsche Texte machen. Eine Bestätigung ist das so oder so, auch wenn sich Leute in der Tschechei oder in Italien unsere Songs anhören und mögen. Mit Narziss haben wir kein spezielles Augenmerk auf die USA gelegt, obwohl natürlich der Markt dort wesentlich größer ist. Wir freuen uns über jeden Zuspruch aus allen Ländern.

Was ist über NARZISS selbst zu sagen ? Wann und mit welcher Zielsetzung wurde die Band gegründet und wer sind die Menschen hinter der Musik ?

Wir haben uns im Dezember 1999 in der Hauptbesetzung formiert und dann mindestens 1500 Besetzungswechseln unterworfen. In der heutigen Besetzung spielen wir seit Ende 2002 zusammen, bis auf den Neueinstieg von Alexander. Eine Zielsetzung gab es bei unserer Gründung nicht, wir wollten einfach nur Musik machen und unseren Gefühlen Ausdruck verleihen. Heute denke ich, wir sind froh über das was wir erreicht haben und gehen soweit wir kommen. Wir investieren alle eine Menge in die Band als unser einzigstes Hobby, mehrer Proben in der Woche und eigentlich immer eine Menge Shows im Monat. Zur Zeit ist alles noch Spaß, auch wenn man manches mal graue Haare bekommt. Persönlich machen wir alle unterschiedliche Dinge. Unser Sänger Rayk wohnt und arbeitet in Potsdam, der Alexander beendet gerade seine Ausbildung zum Gestaltungsassi, Steffen ist Zimmermeister, Robert arbeitet bei Frauenhofer und Sebastian und ich studieren. Freizeitmäßig gibt es nicht viel neben Narziss. Robert hat noch das Klammottenlabel Deadend und ich mache Circulation Records.

Ihr verbindet beinahe traditionellen Metal mit neuzeitlichen Einflüssen des Hardcore. Reflektiert dies musikalische Vorlieben und Wurzeln der einzelnen an NARZISS beteiligten Künstler ?

Drehen wir das ganze lieber um. Wir haben im HC begonnen und sind dann wesentlich durch nationale Größen wie HSB und Caliban beeinflusst worden. Sicherlich hören wir auch eine ganze Menge anderen Metalkram, aber ich glaube nicht, dass das wesentlich beeinflusst. Wir haben nicht den Anspruch das Rad neu zu erfinden, also machen wir das, was uns gerade einfällt. Da klingt es dann eben mal mehr nach Metal und mal mehr nach HC. Mit den musikalischen Vorlieben liegen wir alle recht nah beieinander, so dass von daher viele Einflüsse, aber wenig Unterschiede zu finden sind. Neues holen wir uns dann bewusst von außen in die Band.

Wie beurteilt ihr selbst Euren Stellenwert innerhalb der schier unüberschaubaren Masse an Bands dieses Genres ?

Keine Ahnung, ich urteile mal lieber selbst nicht über uns. Wir verkaufen für den HC-Untergrund recht gut, haben immer einigermaßen volle Konzerte, aber mehr geht immer. Was uns eindeutig abgrenzt, sind eben die deutschen Texte und das wir live recht präsent sind. Wir versuchen, dass was wir machen konsequent durchzuziehen, haben mehrere Sängerwechsel überlebt, also ich denke, dass unser Position nicht die schlechteste ist.

In gesunder Kontinuität erblicken Veröffentlichungen von NARZISS das Licht der Welt. Bildet „Neue Welt“ die bisherige Krone Eures Wirkens ?

Natürlich denkt man immer selber, dass der neuste Song der beste ist, aber am Schluss entscheidet das Publikum. Ich bin sehr froh, dass in den Reviews zu unserem neuen Album immer wieder andere Titel und Textstellen als Favoriten hervorgehoben werden, das spricht vielleicht für die Vielseitigkeit des Albums. Die Frage ist nur, ob wir „Entstelltes Bild“ von unserem letzten Album „Die Hoffnung stirbt zuletzt“ übertreffen können. Livetechnisch zeichnet sich der Song immer als Tanzgarantie ab, wir bekommen massenweise Anfragen nach Tabulatoren für den Song – wir werden sehen.

Wie zufrieden seid ihr selbst mit der erbrachten Leistung und wie selbstkritisch beäugt ihr Eure Erzeugnisse ?

Eigentlich ist das bei jeder CD dasselbe. Du hörst das Master 2x und schon gibt es Sachen, die man anders machen will. Allerdings schiebt sich hier der Riegel des Budgets und des Zeitdrucks vor. Aber dafür machen wir ja neue Songs, wo wir konsequent versuchen, die Fehler der alten Songs zu vermeiden. Allerdings gehen da die Meinung der Band und des Publikums manchmal auseinander. Alles in allem sind wir aber schon zufrieden mit dem Album und ich höre es mir sogar manchmal an.

Mit Tue Madsen zeigt sich ein renommierter Produzent für das hervorstechende Klangbild von „Neue Welt“ verantwortlich. Wie war die Zusammenarbeit zwischen ihm und Euch und wie kam diese fruchtbare Interaktion zustande ?

Unser eigentlicher Produzent ist Patrick W. Engel aus dem Rape Of Harmonies Studio, wo wir auch aufgenommen haben. Kompositionstechnisch etc kommen dann die meisten Einflüsse von außerhalb der Band von ihm. Die Zusammenarbeit mit Tue Madsen war sehr entspannt. Wir haben eine Menge gelernt und er hat einfach noch zehnmal mehr rausgeholt, als ohne ihn möglich gewesen wäre. Dennoch ist dadurch, dass wir nicht bei ihm aufgenommen haben, der direkte Einfluß auf die Songs gleich Null. Der Sound aber trägt eindeutig seine Markenzeichen.

Wie kam es, dass ihr mit Alexander Bartsch den ehemaligen NARZISS-Sänger als stimmliche Verstärkung für Rayk Sommer in das Projekt involviert habt ?

Alexander hing seit längerer Zeit wieder bei uns im Proberaum rum, hatte ja auch einen Text geschrieben. Der erneute Einstieg war nur noch eine Formalität. Es ist auf alle Fälle sehr cool, mit Alexander wieder unterwegs zu sein, dass erinnert einen schon an die ersten Jahre von Narziss und lässt „alte“ Erinnerungen aufkommen. Zudem ist er eine unheimliche hohe stimmliche Bereicherung, die ich auf dem Album nicht missen möchte.

Bleibt diese Kooperation ein Einzelfall, oder wird NARZISS zukünftig mit zwei Sängern agieren ?

Alexander wird den Sommer über auch auf einigen Shows mit von der Partie sein. Zur Zeit spielen wir sogar nur mit Alexander, da Rayk sich einen Achillessehnenriss zugezogen hat. Wie es dann weiter geht, wissen wir noch nicht, da Alexander jetzt mit seiner Ausbildung fertig ist und keiner weiß, wo er arbeiten gehen wird.

Der Titel des Albums fügt sich schier nahtlos in den Kontext der darauf enthaltenen Stücke und die wiederkehrenden Komponenten von gesellschaftlichen Strukturen ein. Wollt ihr „Neue Welt“ als Konzeptalbum verstanden wissen ?

Geplant war mal so etwas wie ein Konzeptalbum, doch das haben wir nicht wirklich versucht umzusetzen. Wenn das also jetzt so wirkt, dann ist das Zufall. Natürlich haben wir versucht, den Plattentitel den Textinhalten anzupassen, aber das gelingt ja nicht immer. Plattetitel ist so etwas beschissenes wie Bandname. Das dauert bei uns ewig. Zum Glück haben wir einen Bandnamen.

Wie ist es um die Hardcore-Szene bestimmt ? Nimmt man Euren Song „83@ebaydotcom“ als Maßstab offenbar nicht sonderlich rosig.

Da mag so erscheinen, allerdings sind das meiner Meinung nach ganz normale Erscheinungen, die nur ab und zu mal benannt werden müssen. Das ist bestimmt in anderen Szenen auch der Fall. Allerdings fällt gerade das, was wir in dem Text beschreiben, Leuten außerhalb der Szene auf. Wir wollen damit (uns mit eingeschlossen) auf die Missstände aufmerksam machen, damit sich die HC Szene nicht selber Matt setzt. Schließlich ist das unsere Heimat. Wichtig ist meiner Meinung nach, nicht vor solchen negativen Seiten zu kapitulieren sondern zu versuchen, sie zu beseitigen. Außerdem hätte ich gerne, dass sich noch mehr Leute für die Szene interessieren und nicht durch so etwas abschrecken lassen.

Wie schwierig ist es bei sechs Individualisten auf einen Nenner bei textlichen Aussagen zu kommen ?

Gar nicht. Wer keine Texte schreibt, hält den Rand.  Über Texte und deren Inhalt haben wir uns noch nie explizit verständigen müssen, hat bis jetzt immer gut geklappt. Die Texte drücken im Durchschnitt die Meinungen der ganzen Band aus. Wo es um Gefühle geht, ist das natürlich wesentlich Individueller, aber ich habe kein Problem damit, dass Gefühle besungen werden, denen ich mich nicht anschließen kann. Wäre ja auch schlimm, wenn alle das gleich fühlen würden.

Wer zeichnet sich für das stimmige Artwork von „Neue Welt“ verantwortlich ?

Das Artwork hat Tassilo Drechsel von Deadend gemacht. Wir sind ihm ziemlich dankbar dafür. Noch kurz vor der Veröffentlichung hatten wir keinen richtige Vorschlag, bis er sich zu Wort gemeldet hat. Dann hat er in unheimlich kurzer Zeit das ganze Ding für uns fertig gemacht. Ohne ihn hätten wir heute noch eine CD ohne Artwork.

Inwiefern werdet ihr „Neue Welt“ auf den Bühnen der Republik, bzw. dem europäischen Umland präsentieren ?

Wir werden wie immer ca. 4 Shows im Monat spielen, mal mehr, mal weniger. Wir sind vorwiegend in Deutschland unterwegs, erst im September werden wir eine Woche in Spanien spielen. Ansonsten ist nichts weiteres in Planung.

Wird Euch Euer Weg auch über den großen Teich nach Amerika führen ?

Kein Ahnung, aber bevor wir dort nicht ordentlich viel verkauft haben, werden wir wohl nicht dort spielen. Berichten zu folge sind viele Untergrundshows nicht so gut besucht, die Veranstalter kümmern sich kaum um die Bands und die Unkosten kommen lange nicht rein. Wenn natürlich ein lukratives Angebot kommt, werden wir uns dort schon blicken lassen.

Was wird NARZISS das Jahr 2004 noch bringen ?

Wir bringen im September noch ein Rerelease unserer verkauften ersten MiniCD mit einem Haufen Demosongs raus, ansonsten arbeiten wir schon wieder am nächsten Album, welches dann sicherlich nächstes Jahr erscheint. Also immer mal www.narziss-hc.com oder www.circulationrecords.com checken, da gibt’s alle Neuigkeiten brandaktuell.

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