Interview mit Cortarmao (Oktober 2017)

Stellt CORTARMAO und die kreativen Menschen dahinter doch einleitend kurz vor.

Christian: Moin! CORTARMAO ist eine aus Erfurt/Jena stammende Band, die aus vier Menschen besteht, die offiziell seit 2015 so etwas Ähnliches wie Musik machen. Da gibt es einen Franz, unser drittes Software-Update auf dem Drummer-Posten. Da ist ein Mihail, der nebenberuflich Bass spielt und hauptberuflich seine Brötchen als Vin-Diesel-Stuntdouble verdient. Außerdem haben wir einen Hannes, der unser gitarrenspielendes Mastermind darstellt und als einziger so richtig weiß, wie man einen Song schreibt und produziert.

Am unteren Ende der Nahrungskette findet man dann mich, den Christian. Ich bin hauptsächlich fürs Schreiben der Songtexte, das Schreien in Mikrofone und das mittelmäßige Rumhacken auf Synthesizern zuständig. Des Weiteren haben wir vor kurzem einen Toni eingekauft, der sich um verschiedenste Booking- und Promo-Angelegenheiten kümmert.

Da seit der jüngsten Bundestagswahl erst wenige Wochen ins Land gezogen sind und die AfD in eurem Heimatbundesland Thüringen 22,7 Prozent der Erststimmen einfahren konnte, wie lautet eure Meinung zu den aktuellen politischen Entwicklungen und Diskussionen in Deutschland?

Christian: Das Wahlergebnis ist für mich zwar erschütternd, aber wenig überraschend. Wir leben in einer Zeit und in einem Land, wo die Mittel da sind, sich wirklich allumfassend in Büchern, Zeitungen, Reportagen und dem Internet zu informieren. Ich meine jetzt keinen Verschwörungstheorien-Bullshit, sondern eben den einfachen Blick hinter die Kulissen. Wo man danach eigentlich erkennen sollte, dass Flüchtlinge nicht die Wurzel allen Übels sind, wir dringend mal an unsere Umwelt denken und ein ressourcenschonenderen Lebensweg anpeilen sollten.

Leider ist mit der steigenden Einfachheit, sich Informationen beschaffen zu können und dem damit verbundenen technischen Fortschritt, der Erstweltmensch noch fauler und beinflussbarer anstatt selbstständiger und neugieriger geworden. Deshalb ziehen einfache „Wir sind das Volk!“-Parolen rechter Parteien. Ich wette, die wenigsten Wähler besagter Parteien haben tatsächlich einmal das Programm durchgelesen.

Jedoch sehe ich für die nächsten vier Jahre nicht schwarz. Die AfD hat sich ja 12 Stunden nach Einzug in den Bundestag intern gleich selbst angezündet, dank ihrer abtrünnigen Mitglieder. Außerdem wollen selbst die anzugtragenden Gelmatten der CDU und FDP nicht mit denen Politik machen. Ich glaube, die AfD ist in vier Jahren so kaputt durch die Gegenwehr anderer Parteien, ihre internen Probleme und ihre völlig utopischen Ideen, dass sie gleich wieder weg vom Fenster ist. Piratenpartei-Style eben. Dann wird der Wutbürger hoffentlich wieder etwas ruhiger und schämt sich zuhause im stillen Keller.

Kommen wir aber zu eurer Musik: Ihr spielt eine Mischung aus Screamo, Mathcore und Post-Hardcore. Wo liegen eure musikalischen Wurzeln und von welchen Bands und Künstlern seht ihr euch am stärksten geprägt?

Christian: Wir hören alle teilweise relativ unterschiedliche Musik. Es gibt auch Bands, die der eine total mag und der andere absolut scheiße findet, was irgendwie witzig ist. Unsere Songs sind aber vor allem vom frühen Mathcore-Sound der späten 90er Jahre und dem Anfang der 2000er geprägt.

Zu den wohl größten Einflüssen gehören bei uns BOTCH, NORMA JEAN, THE CHARIOT, CONVERGE und THE DILLINGER ESCAPE PLAN. Dazu gesellen sich aber auch andere Ausnahme-Bands aus dem Post-Hardcore- und Screamo-Bereich wie zum Beispiel REFUSED, ESCAPADO oder LA DISPUTE, um wenige zu nennen. Textlich bin ich sehr vom norddeutschen Punk inspiriert worden. Deshalb drehen sich die Texte teilweise eher um gewisse Grundstimmungen als um detaillierte Geschichten. Daher wirken sie, denke ich, oftmals sehr kryptisch.

Der Hörer soll diese Grundstimmungen aufsaugen und sich im Kopf seine eigenen Geschichten und Gedanken dazu ausmalen. So ist zumindest meine Intention. Ähnliche Herangehensweisen kann man da bei Bands wie TURBOSTAAT, SCHNELLER AUTOS ORGANISATION und fast allen Jens-Rachut-Kapellen beobachten. Ab und an verstecke ich auch kleine Zitate von anderen Künstlern in den Texten. Wenn ich mal nach einer Spezi zu viel ganz verrückt bin, dann dichte ich diese sogar um, was auch einige Rapper machen, die ich sehr mag.

Das Leitmotiv eures Schaffens ist die „Herzmaschine“, die auch den Titel eures kürzlich vorgestellten Albumerstlings stellt. Was hat es mit diesem kontextuellen roten Faden auf sich?

Christian: Dieser hat sich relativ schnell so ergeben. Ich selbst plane das Schreiben der Songtexte nicht vor. Ich sage zu mir selbst also nicht: „Heute musst du einen Text fürs Album fertig bekommen.“ Meistens kommen mir die Texte einfach plötzlich so in den Sinn und ich versuche, sie schnell festzuhalten. Das setzte auch damals den Grundstein für das „Herzmaschine“-Konzept.

Urplötzlich fielen mir mitten in der Nacht drei Texte zu völlig verschiedenen Themen ein, die aber in sich doch eine Verbindung hatten. Diese Verbindung fixierte ich dann spontan mit dem Wort Herzmaschine. Fortan habe ich versucht, dieses Wort auch in zukünftige Texte einzubauen. Hannes gefiel auf Anhieb die Idee, da ja das „Cor“ in CORTARMAO auf Latein „Herz“ bedeutet. Nach und nach bastelten wir dann gemeinsam weiter das thematische Konstrukt zusammen, welches sich dann auch im Artwork und den Songnamen wiederfand.

Welche Themen stehen bei euch textlich im Vordergrund?

Christian: Wie bereits gesagt, haben alle Texte eine größere Verbindung zueinander. Runtergebrochen handeln die Lieder über zwischenmenschliche Beziehungen, moderne gesellschaftliche Probleme und unsere eigene Wahrnehmung der Hardcore-Szene.

Die erzählten Konflikte innerhalb dieser Thematiken haben oftmals immer einen Ursprung: Dass der Mensch („Herz“) immer weniger menschlich und viel ferngesteuerter handelt und dabei quasi zur „Maschine“ wird. Wir leben heute in einer rasanten, vom Kapitalismus bestimmten Welt mit hohem medialem Druck und steigenden Erwartungshaltungen. Da ist oftmals nur noch wenig Zeit für das Zwischenmenschliche übrig.

„Herzmaschine“ ist komplett in Eigenregie entstanden. Was könnt ihr über den Entstehungsprozess der Platte berichten?

Christian: Das Ganze war ein langwieriger und zeitintensiver Arbeits- und Lernprozess, bei dem uns die Vorteile sowie Nachteile der eigenen DIY-Produktion bewusst wurden. Vorteilhaft war beispielsweise das druckfreie Arbeiten ohne Deadline. Das hat viel Zeit für spontane Ideen und Experimente offengelassen. Auch finanziell hat uns das ganz schön entlastet.

Negativ war eben nur, dass (logischerweise) der gesamte Aufwand vom Aufnehmen über das Mischen bis hin zum Mastern an uns hängen geblieben ist. Vor allem Hannes hatte einige haarsträubende Tage und Nächte mit dem Produzieren der Platte verbringen müssen. Er stellt bei diesem Prozess die wichtigste Einheit dar und hat das ganze Album recorded und finalisiert.

Unterstützung bekam er dabei nur von Robert Schmidt, unserem alten Drummer. Dieser half bei den Schlagzeugaufnahmen und spielte noch die eine oder andere Sache ein. Außerdem gab es ein paar Gaststimmen von unseren Freunden. Aufgenommen wurde das Album übrigens in unserem Proberaum(-Studio).

Ist es aus eurer Sicht eher Fluch oder Segen, die volle Verantwortung – und damit auch das Risiko – für Produktion, Booking etc. zu tragen?

Christian: Es ist natürlich cool, die volle Kontrolle in der Hand zu haben und selbst zu entscheiden, in welche Richtung die ganze Sache geht. Leider sind viele Arbeitsschritte, welche sich mit den Themen Produktion, Booking und Promo beschäftigen, immer zeitintensiv, verlangen einiges an Know-how, Arbeit und Geld ab. Das kann dann für uns schon mal sehr stressig und schwierig werden.

Deshalb haben wir uns auch ganz bewusst unseren eingangs erwähnten Toni ins Boot geholt. Er unterstützt uns über „Home Away From Home Booking“ so gut es geht in Promo-Fragen und Booking-Angelegenheiten. Es ist gut, jemanden an Board zu haben, der von solchen Dingen wirklich Ahnung und gute Kontakte hat. Dennoch sind alle selbstgemachten Schritte dieser Band immer sehr schwer und langsam, da sie eigentlich fast immer an uns fünf kleben bleiben. Liegt sicher daran, dass kein Veranstalter, Booker oder Labelchef dieser Welt uns geil findet! Haha!

Erhält der DIY-Gedanke im Zeitalter von Internet und Online-Netzwerken nach eurer Ansicht eine stärkere Bedeutung oder ist die Eigenverantwortung durch den technischen Fortschritt schlicht einfacher geworden?

Christian: Uns macht es einfach viel Spaß, die Sachen selbst zu erarbeiten und dabei neue kreative Arbeitsschritte zu durchleben – vom Patches-Selbst-Drucken bis hin zum Handstempeln der CDs. Auch ohne Internet und Netzwerke würden wir beim Merch viel in DIY-Manier umsetzen und beispielsweise keine Sticker bei Sticker24.de oder Weiß-Der-Geier-Was bestellen.

Was Sachen wie Booking und Promo angeht, finde ich, dass es teilweise schwieriger und an manchen Punkten einfacher geworden ist. Klar kannst du heute über Facebook und Mails alles an Booking regeln. Klar kannst du deine Songs über Bandcamp etc. verkaufen. „Leider“ hat eben auch jeder andere Zugang zum Internet. Deshalb ist die Konkurrenz auch deutlich größer. Ich will gar nicht wissen, wie viele Booking-Mails am Tag bei manchen Clubs reinkommen oder wie überfordert Hörer sind, wenn sie die Auswahl haben, sich 12.000 neue Hardcore-Bands auf Bandcamp anzuhören.

Ist die Bedeutung von Labeln als operative Band-Dienstleister in den wirtschaftlich zunehmend schwierigen Zeiten für den Musikmarkt gesunken – und wie erstrebenswert ist für euch die Kooperation mit einem Produktions- und Vermarktungspartner?

Christian: Es ist als Band immer wertvoll, jemanden im Rücken zu haben, der einen stärkt und unterstützt. Dasselbe gilt für ein Label. Auch in diesen Zeiten. Klar, Labels sind nicht mehr das, was sie mal vor ein paar Jahren waren. Trotzdem sitzen dort immer noch Leute mit Budget, Zeit, Know-how und Kontakten. Aktuell ist in unserer Lage ein Label aber noch nicht zwingend notwendig.

Das Release von „Herzmaschine“ wäre sicher reibungsloser und einfacher vonstattengegangen, als wie wir das jetzt mit unserem Feenoise-Ding gemacht haben. Sollten wir mal „den großen Sprung“ schaffen und 90 Konzerte im Jahr spielen, dann ist natürlich ein Label unverzichtbar. Aber wir wissen alle, dass das eher unwahrscheinlich ist.

Viele DIY-Bands stellen ihr Songmaterial kostenlos im Internet zur Verfügung. Was ist eure Meinung dazu?

Christian: Witzigerweise bin ich letztens erst wegen einer ähnlichen Thematik bei einer wilden Diskussion aus einer tollen Facebook-Gruppe ausgetreten. Es ging dabei um das Schicken von MP3s und das Austauschen plus Mehrmals-Verwenden von Downloadcodes, insbesondere im DIY-Punk-/Hardcore-Bereich.

Ich bin der Meinung, dass das Internet und die damit verbundenen Streaming-Anbieter, Sharing-Portale und was sonst noch alles dazugehört den Einstieg für junge Bands aus diesem Genre erheblich erschweren und ihre Musik entwertet haben. Mir ist klar, dass wir alle nicht METALLICA sind und dass die wenigsten Bands jemals von ihren Songs leben werden, aber alles sollte wenigstens etwas kosten und da schließe ich neben LPs, CDs, Tapes und Merch eben die MP3s nicht aus.

Ich für meinen Teil zahle immer noch ein Stück meines Geldanteils ab, welchen jeder einzelner in der Band aufbringen musste, damit wir verschiedene Kosten rund um unser Album decken können. Ich weiß auch, dass wir sicher nicht die einzige Band sind, die ständig auf finanziellen Problemen sitzen bleibt, weil manche Hörer am Ende nichts zahlen wollen, obwohl sie die Songs sogar richtig gut finden. Ich denke mir dann immer: „Du willst unser Album haben? Dann zahl die vier Euro auf Bandcamp und trink am Wochenende im Club mal ein bis zwei Bier weniger!“

Es ist traurig zu sehen, dass sich das nach und nach immer mehr zu Ungunsten der Bands entwickelt: Damals hat dich eine Band so sehr geflasht, dass du nach der Show eine LP, ein Shirt und einen Patch gekauft hast. Heute muss eine Band ihre gesamte Diskografie zum kostenlosen Download anbieten, damit du erstmal in Ruhe reinhören kannst, um dir zu überlegen, ob du nächste Woche zu der drei Euro teuren Show gehst. Klar, das gilt nicht für alle Leute da draußen, aber ihr wisst schon, wer ihr seid…

Wie waren die bisherigen Resonanzen auf „Herzmaschine“?

Christian: An sich können wir uns definitiv nicht beklagen. Aktuell hoffen wir noch auf ein paar mehr Reviews. Aber an sich sind die jetzigen Rezensionen durchweg positiv. Außerdem haben uns einige Musikblogs geteilt und Shout-Outs gegeben. Dabei auch größere (inter)nationale Instanzen, die man aus Szenekreisen eben kennt. Langsam habe ich auch das Gefühl, dass die Sache gesund wächst und man uns nach und nach mehr mitbekommt. Mal sehen, was sich also in nächster Zeit noch entwickelt.

Eine Frage hat mich beim Hören des Albums wiederholt beschäftigt: Der Zehnminüter „Glomera“ wirkt auf mich wie ein klassischer Final-Track. War es eine bewusste (dramaturgische) Entscheidung, diesem noch zwei Nummern nachzustellen?

Christian: Nö. Auf vielen Platten des Genres wird ja gerne der längste Song ganz nach hinten gepackt. Mir fallen aber spontan mit „Disconnecktie: The Faithful Vampire“, „Pretty Soon, I Don’t Know What, But Something Is Going To Happen“ und „Tannhäuser / Derivè“ drei Songs ein, die auch die längsten auf der Platte sind und einfach mitten im Album zu finden sind.

Einer der Gründe bildet bei uns die Tatsache, dass der Albumaufbau direkt für eine Vinyl-Umsetzung geplant worden ist. Da musst du dann immer gucken, dass pro Vinylseite nur eine begrenzte Spielzeit zur Verfügung steht. „Glomera“ hat mit seinen zehn Minuten schon viel Platz auf der B-Seite weggenommen. Deshalb haben wir dann noch die zwei kurzen und schnellen Songs „Faradisation“ und „Hexode“ mit draufgepackt.

„Glomera“ ist genau zwischen den beiden, um ein wenig Tempo rauszunehmen und im Outro dem Hörer nochmal etwas Ruhe zu gönnen. Ein weiter Grund stellt die textliche Thematik dar. Bei allen Songs der A-Seite werden die Konflikte gelöst bzw. bietet sich am Ende ein positiver Ausblick. Die einzige Ausnahme bildet der letzte Song „Epikard“. Selbiges gilt für die B-Seite: In allen Liedern und so auch in „Glomera“ baut sich ein Gefühl von Hoffnung auf. Dieses Gefühl soll textlich am Ende mit „Isolator“ gebrochen werden und den Hörer bewusst mit einem unangenehmen Gefühl der Rastlosigkeit hinterlassen.

Was sind eure Pläne für den Rest von 2017?

Christian: Wir spielen im Oktober und November noch eine Handvoll Shows. Danach ist erstmal Winterschlaf angesagt. Wir haben fürs neue Jahr zwar schon ein paar neue Sachen geplant, aber aktuell stehen auch noch andere Dinge bei uns im Leben an. Manch einer in der Band wird Papa, manch einer muss endlich mal seinen akademischen Abschluss machen (wie unpunkig, buhhhh!) und andere stecken bis zum Hals in ihrem neuen Job. Im Frühjahr ziehen wir dann aber die Schrauben wieder an, spielen neue Shows und greifen wieder in die Trickkiste hinein.

Wer mehr über CORTARMAO erfahren möchte, der…

Christian: …kommt auf unsere Shows. Ich glaube, da kann man uns dann wirklich mal „erfahren“. An sich brauchen wir eh mehr tanzwütige Punks in der ersten Reihe, damit das nicht immer so albern aussieht, wenn wir uns alleine auf der Bühne zerlegen. Ansonsten können wir uns auch mal digital verabreden. Ich glaube, wir sind auch manchmal auf Facebook, Bandcamp und Knuddels.de unterwegs.

Und auch die letzten Worte dieses Interviews gebühren euch:

Christian: Ich weiß, um ehrlich zu sein, nicht was ich sagen soll, außer recht herzlichen Dank für das nette Interview und die tolle Unterstützung. Ansonsten lasse ich euch allen einfach nochmal ein paar Platten da, die mir dieses Jahr bisher besonders gut gefallen haben, denn why not? Sharing ist schließlich caring oder so.

Also: ‘68 – „Two Parts Viper“, AUDIO88 – „Sternzeichen Hass“, LOVE A – „Nichts ist Neu“, ZUGEZOGEN MASKULIN – „Alle gegen Alle”. Over and out!

 

Fotos: Cortarmao / Michael Neubauer

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