Der Wolfsmensch (USA 1941)

der-wolfsmensch„Even a man who is pure in heart and says his prayers by night, may become a wolf when the wolfbane blooms and the autumn moon is bright.“ – Oft wiederholte Folklore mit wahrem Kern

Die goldene Ära des Gruselfilms schien bereits vorüber, als die Universal Studios mit „Der Wolfsmensch“ einen weiteren Genre-Klassiker hervorbrachten. Es war nicht Hollywoods erste Werwolf-Geschichte, bei aller Naivität aber die prägendste, fesselndste und vor allem hintergründigste. Zu verdanken ist dies dem aus Nazi-Deutschland geflohenen jüdischen Drehbuchautoren Curt Siodmak („Der Unsichtbare kehrt zurück“), der es sich nicht verkniff, im Subtext der Geschichte gegen Hitlers Regime zu sticheln.

Nach 20 Jahren in den vereinigten Staaten nimmt Adelsspross Larry Talbot (Lon Chaney Jr.) den überraschenden Tod seines Bruders zum Anlass, in die englische Heimat zurückzukehren. Von Vater Sir John (Claude Rains, „Casablanca“) lässt er sich in die Führungsaufgaben als Gutsverwalter einführen, hat daneben aber nur Augen für die attraktive Gwen (Evelyn Ankers, „Draculas Sohn“), die im Antiquitätengeschäft ihrer Familie arbeitet. Dort ersteht Larry einen Gehstock mit silbernem Knauf in Form eines Wolfskopfes.

Der kommt ihm gelegen, als er bei einem abendlichen Spaziergang von einem Wolf angefallen und in die Brust gebissen wird. Es gelingt ihm, das Biest mit dem silbernen Kopfstück zu erschlagen, doch erblickt er vor dem Verlust des Bewusstsein den Leichnam des Zigeuners Béla („Dracula“-Star Bela Lugosi). Von der Polizei des Mordes verdächtigt, erfährt Larry von Maleva (Schauspiel-Mentorin Maria Ouspenskaya), der Mutter des Toten, vom Werwolf-Fluch und jenem grausamen Schicksal, dass bei Vollmond fortan auch ihn erfassen wird.

Die populären Gesetzmäßigkeiten gründen sich fast ausschließlich auf die Fantasie Siodmaks, der als renommierter Science-Fiction-Autor naturgemäß wenig für Folklore und Aberglaube übrig hatte. Er nahm sich eines nie realisierten Projektes an, das ursprünglich für „Frankenstein“-Star Boris Karloff konzipiert worden war und übernahm lediglich den Titel „The Wolf Man“. Um diesen kreierte er eine völlig eigenständige Mythologie, die das Bild des Werwolfs bis in die Gegenwart prägt.

Der Heimat gedachte Siodmak mit Todgeweihten im Zeichen des Sterns, erkennt der Werwolf sein nächstes Opfer doch am kurzzeitig aufflackernden Pentagramm in der Handfläche. Neben ihm ist es die Thematik der Verwandlung friedfertiger Menschen in Monster, die einer Abrechnung mit Hitler-Deutschland gleichkam. Universal lehnte Siodmaks ursprünglichen Entwurf übrigens ab, in dem nie ersichtlich war, ob Larry tatsächlich zum Wolf wurde oder die Transformation lediglich seiner Einbildung entsprang. Diese Idee realisierte er als Autor und Regisseur erst 1952 mit „Die Braut des Gorilla“.

Im Ergebnis mag „Der Wolfsmensch“ weniger subtil als intendiert daherkommen, doch gaben die Universal Studios dem Publikum genau das, wonach es verlangte. Die Zeitlosigkeit der nebelverhangenen Schauermär resultiert aus dem Setting, das verschiedene Epochen und kulturelle Strömungen zu verschmelzen scheint. Regisseur George Waggner, der mit Lon Chaney Jr. im gleichen Jahr auch „The Atomic Monster“ drehte, schafft mehr Tragik als Tiefe, hat in der Besetzung aber ausreichend schauspielerische Klasse auf seiner Seite.

Für Chaney, Sohn des bekannten Stummfilmstars Lon Chaney, bedeutete „Der Wolfsmensch“ den Durchbruch. Seinen eigentlichen Namen Creighton Tull Chaney änderte er auf Drängen des Studios, um ihm in Gedenken an seinen 1930 verstorbenen Vater größere Zugkraft zu verleihen. Bis 1948 Verkörperte er die Rolle noch vier weitere Male, ehe seine Karriere über Trash-Produktionen („Dracula vs. Frankenstein“) – ähnlich Bela Lugosi – ein unrühmliches Ende nahm.

Bis heute beeindruckend sind die Masken von Universals hauseigenem Make Up-Spezialisten Jack P. Pierce („Frankenstein“). Er hatte das haarige Monster mit der Latexschnauze bereits in „Der Werwolf von London“ (1935) vorzustellen versucht, war jedoch an den Zensurbefürchtungen des Studios gescheitert. Die Verwandlungsszenen, überlappende Folgen von Einzeleinstellungen, wirken heute reichlich angestaubt – und wurden im ersten Sequel „Frankenstein trifft den Wolfsmenschen“ (1943) deutlich überzeugender und visuell flüssiger dargestellt.

Zur Atmosphäre des unvergesslichen Klassikers trägt auch die Musik bei, die die nicht namentlich genannten Frank Skinner („Arabische Nächte“), Hans J. Salter („The Merry Monahans“) und Charles Previn (Oscar-prämiert für „100 Mann und ein Mädchen“) komponierten. „Der Wolfsmensch“ komplettierte Universals Monster-Anthologie und begeistert nostalgische Filmfans bis heute. Der Gruselfilm versank danach – sieht man von Jack Arnolds großartigem Nachzügler „Der Schrecken vom Amazonas“ ab – in der Belanglosigkeit. Umso wichtiger ist es, die Höhepunkte des Genres in Ehren zu halten.

Wertung: 8.5 out of 10 stars (8,5 / 10)

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