Der bayerische Rebell (D 2004)

der-bayerische-rebellDem Namen Hans Söllner scheint unweigerlich die beharrliche Revolution des kleinen Mannes anzuhaften. Es ist eine gesunde Symbiose aus bajuwarischer Sturheit und nonkonformistischem Querdenkertum – und natürlich der bläuliche Dunst aufsteigenden Cannabisrauchwerks. So führt der illustre Liedermacher aus Bad Reichenhall seit mehr als 20 Jahren seinen Quichote‘esken Kampf gegen die Windmühlen der engstirnigen Obrigkeit und verteidigt tapfer seine Bastion uneingeschränkter Meinungsfreiheit gegen die verbissen heranbrandende freistaatliche Gegenwehr. Künstlerischer Erfolg und politisch motivierte Verfolgung geben Hans Söllner augenscheinlich Recht.

Doch was und vor allem wer steht in Wahrheit hinter dem Phänomen des süddeutschen Trotzkopfes, der es wie kaum ein anderer versteht zu provozieren und stets mit dem Haupte voran die Feste ausgemachten Spießertums zu attackieren weiß? Dieser Frage versucht Dokumentarfilmer Andreas Stiglmayr in seinem kurzweiligen Debütwerk „Der bayerische Rebell“ auf den Grund zu gehen, indem auf oftmals ironisierten Pfaden der Mensch Hans Söllner und dessen Umfeld durchleuchtet werden. Um die notwendige Distanz bemüht, lässt der Film den sympathischen Alpenquerulanten frei von jeder Wertigkeit zu Wort kommen und überlässt es allein dem Betrachter, individuelle Rückschlüsse aus Söllners Primärideologien zu ziehen.

Neben dem alternativen Volksmusiker, der wie eine dörfliche Mischung aus Michael Moore und Jeff Bridges Paradepart des kiffenden Althippies in „The Big Lebowski“ anmutet, schafft Andreas Stiglmayr ein nicht unerhebliches Konsortium unterschiedlichster Auffassungsbildnisse. Die umschließen Fans, Freunde und Wegbegleiter, wobei der heilige Kreis der Familie Söllners dankbar unangetastet bleibt. Selbstredend wird auch die Kritikerseite nicht ausgespart. Allerdings muss die auf folkloristisch kostümierten Schuhplattlerfanatismus beschränkt bleiben, verweigerte das bayerische Innenministerium doch jedwede Stellungnahme zum inoffiziellen Freistaatsfeind Nr. 1.

Der über viele Jahre der zelebrierten Kleinkunst erarbeitete Status Hans Söllners, dessen Bekanntheitsgrad sich abseitig von Medienpräsenz und Radiorotation über die Grenzen des Bayernlandes hinaus in die ganze Republik streut, gründet sich bei seinem vornehmlich jüngeren Publikum jedoch nur bedingt auf die hartnäckige Forderung der Legalisierung sogenannter weicher Drogen. Vielmehr findet sie ihren Ursprung im allgegenwärtigen Aufruf zu mehr Toleranz und Freiheit, welcher der Gesellschaft lustvoll und inbrünstig einen Spiegel vorhält. Zwischen Auftrittsalltag und Politprovokation wird der beflissenen Künstlerseele jedoch auch immer wieder der gläubige Familienvater gegenübergestellt.

Das Herzstück des ambitionierten Dokumentarprojektes markiert die oft umwerfend komische Ambivalenz aus künstlerischer Aktion und staatlicher Reaktion, dem offenen Schlagabtausch zwischen Können und Dürfen, Müssen und Wollen. Dieser zeigt Söllner im Dunstkreis seiner raren Fernsehauftritte im Gespräch mit Alfred Biolek oder bei einer kuriosen Selbstanzeige wegen des Besitzes von einem Gramm Marihuana in der örtlichen Polizeistube, im gerichtlichen Zwist wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz oder im Zwiegespräch mit Zivilfahndern im Rahmen eines seiner zahlreichen Konzerte. Willkürliche Hausdurchsuchungen und die Zwangsabgabe einer drakonischen Geldstrafe von 75.000 DM wegen Ehrbeleidigung offerieren anbei überdeutlich den Drang der in die Enge getriebenen bayerischen Landesregierung, am Fallbeispiel Hans Söllner ein wahres Exempel statuieren zu wollen.

Von sämtlichem prestigeträchtigem Gegenwind sichtlich unbeeindruckt glänzt dieser in zahllosen Interviewschnipseln, Proberaumeinblicken und Tour-Ausschnitten durch stoische Gemütsruhe und selbstkritischen wie selbstironischen Anekdotenreichtum. Seine genügsame Person schmückt er mit wallenden Kontroversen und eröffnet dem Zuschauer mitunter sehr persönliche Einblicke in seine von zahlreichen Zwängen befreite Welt. So gelingt es Andreas Stiglmayr vortrefflich, den Privatmann und den Künstler Hans Söllner zu separieren und diesen Partizipismus durch das individualistische Gedankengut des nimmermüden Freigeistes zu einen. Für die einen ist er ein subversiver Störenfried mit anarchistischer wie staatsfeindlicher Grundgesinnung, für die anderen ein generationsübergreifendes Sprachrohr mit Mut zur Auflehnung.

Ob und inwiefern sich „Der bayerische Rebell“ auf den passionierten Kampf Söllners auswirken wird, bleibt aufgrund der Auswertung des Dokumentarfilmes in einigen wenigen Programmkinos der Republik fraglich. Nicht zuletzt auch, weil einer möglichen Fernsehausstrahlung bereits in der Planungsphase der Produktion durch den gänzlichen Vorenthalt von Fördergeldern entgegengewirkt wurde. Stiglmayrs Resultat weiß trotzdem zu überzeugen und bildet eine stichhaltige Portraitzeichnung des Lebenswerkes eines wahren Ausnahmekünstlers. Erscheint die gegen Ende aufkeimende Romantisierung des sporadischen Drogenkonsums mitunter fragwürdig, beinahe fadenscheinig, so markiert der Film doch ein durchweg unterhaltsames Mahnmal für Meinungsfreiheit und die uneingeschränkte Achtung des Individuums. Nicht nur für Bayerns Innenminister Beckstein absolutes Pflichtprogramm!

Wertung: 7.5 out of 10 stars (7,5 / 10)

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