Das weisse Band – Eine deutsche Kindergeschichte (D/AT/I/F 2009)

das-weisse-bandReinigung durch Züchtigung. Noch die Großvätergeneration bekam das eingeimpft. Nicht selten mit Gürtel oder Rohrstock. Aber welche Auswirkungen hat diese in christlichen Fundamentalismus und männliches Patriarchat gegossene Vorbildlichkeit auf die Kinder? In Michael Hanekes bitterem Sittengemälde „Das weiße Band“ ist der Weg vorgezeichnet. Der Film spielt kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Die Kinder sind also Teil jener Generation, die Adolf Hitler keine zwei Jahrzehnte später an die Macht wählen wird.

Haneke ist ein Regisseur, der aufwühlt. Seine Werke sind unbequem, oft sperrig und stets gesellschaftskritisch. Von dieser Prämisse wich der in München geborene Österreicher auch mit dem US-Remake seines eigenen Filmes „Funny Games“ nicht ab. Radikal verweigert sich Haneke Strukturen des Unterhaltungskinos. Dass „Das weiße Band“ ungewöhnlich kunstvoll scheint, liegt in der strengen Schwarz-/Weiß-Fotografie Christian Bergers („Caché“), der wie Haneke für den Oscar nominiert wurde. Zuvor wurde das zehrende Meisterwerk bereits mit der Goldenen Palme in Cannes geehrt.

In Voice Over-Erzählungen führt der ehemalige Lehrer (Christian Friedel) des fiktiven Dorfes Eichwald durch die mysteriöse Geschichte. Die kennt weder Anfang noch Ende und seziert doch mit faszinierender Präzision die Mechanismen von zwangsweiser Unterwerfung und aufgestauter Aggression. Alles beginnt mit einem Anschlag auf den Doktor (Rainer Bock), der auf seinem Grund mit dem Pferd über ein im Weg gespanntes Drahtseil stürzt. Die Schuldfrage bleibt ungeklärt. Diesem Vorfall folgt eine Kette befremdlicher Ereignisse, die den schleichenden Verlust des Gemeindefriedens nach sich zieht.

Streng in der Form, entlarvend in der Erzählung, seziert Haneke die soziale Struktur des Dorfes. Die Doppelmoral dieser autoritären Gesellschaft verdeutlicht insbesondere der Pfarrer (großartig: Burghart Klaußner), den seine Kinder „Herr Vater“ zu nennen haben und dessen Erziehung auf emotionaler Reserviertheit und eiserner Strenge fußt. Sohn Martin (Leonard Proxauf) wird die Masturbation mit Todesvisionen und nächtlichen Fesseln ausgetrieben. Die Reaktion der Zöglinge wird bestenfalls angedeutet, in der Tötung von Vaters Vogel aber zumindest einmal deutlich gemacht.

In der wirtschaftlichen Abhängigkeit der Bauern vom Baron (Ulrich Tukur), einem Großgrundbesitzer, der zur Erntezeit auf die Hilfe der Landwirte und ihrer Familien baut, zeigt sich zudem eine vorgelebte Ermangelung sozialen Widerstands. Doch kehrt Haneke bei all den kleinen Tragödien und Niederschlägen der Erwachsenen immer wieder zu den Kindern zurück. Am Ende wirkt „Das weiße Band“ wie „Das Dorf der Verdammten“. Nur eben ohne glühende Augen. Der Horror aber ist bei Haneke real, die Entfremdung Produkt vorgelebter Werte und Moralvorstellungen. Warum sollten die Kinder jener Zeit auch besser werden als ihre Eltern?

Wertung: 9 out of 10 stars (9 / 10)

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