Hörspiel-Review: Das Imperium der Ameisen (2017, Folgenreich)

Der Mensch begreift sich gern als Krone der Schöpfung. Gerecht wird er diesem Status jedoch kaum. Die systematische Zerstörung der Umwelt und damit verbunden notwendiger Ökosysteme und Lebensräume lassen die Theorie eines Rückschlags der Natur nicht vollends abwegig erscheinen. Zumindest nicht, wenn man sich auf Schriftsteller H. G. Wells beruft, der mit seiner 1905 erstveröffentlichten Kurzgeschichte „Das Imperium der Ameisen“ quasi die Essenz des Tier-Horrors vorwegnahm.

Hörspiel-Regisseur Oliver Döring („Die Zeitmaschine“) hat den Klassiker als einstündigen auditiven Thriller in die Moderne übertragen. Die Namen der Hauptfiguren und das Plot-Gerüst blieben (weitgehend) unverändert, einen zeitgemäßen Anstrich erhielt allein der narrative Rahmen. Als Ich-Erzähler fungiert der junge Biologe Lucas Holroyd (Julien Haggége, Synchronsprecher u. a. von Colin Hanks und Adam Driver in „Star Wars“), der für eine privatwirtschaftliche Forschungsinstitution arbeitet und von seinem Boss den „Scheiß-Job“ erhält, kurzfristig nach Peru zu reisen.

Dort soll er den verschwundenen Kollegen Perkins (Boris Tessmann, vertont u. a. Patrick Dempsey) suchen, der einem Volk aggressiver, hochgiftiger Ameisen nachspürte. Dass es um dessen Schicksal nicht zwingend zum Besten bestellt ist, erfährt der Zuhörer bereits im Prolog, der die Gefahr durch die Insekten scheinbar eindeutig darlegt. Der im Sinne des karrieristischen Wetteiferns zur Fernreise genötigte Holroyd hat nach seiner Ankunft in Südamerika zunächst Mühe, die kapitalistische Komfortzone zu verlassen und sich auf Land und Leute einzulassen. Döring gelingt es dabei trefflich, das „Leid“ des Erzählers durch detaillierte Ausführungen und unterstreichende Soundeffekte erfahrbar zu machen.

Im Hafen von Iquitos wird Holroyd von Marine-Offizier Gerilleau (Carlos Lobo, deutsche Stimme u. a. von Javier Bardem und Demian Bichir) in Empfang genommen, der ihn auf einem Patrouillenboot der Armee zum Zielort chauffiert. Begleitet werden sie zudem von Aussteiger Ernest Simpson (Douglas Welbat, Autor der frühen „Larry Brent“- und „Macabros“-Serien), der für den gesuchten Perkins arbeitete und den Weg zu dessen Forschungsstation weist. Doch der ist beschwerlich und offenbart mit dem Fund eines verlassenen Segelbootes, zu was die Insekten imstande sind.

Wenn die Figuren von „großen schwarzen Ameisen“ sprechen, sind glücklicherweise nicht jene Ausmaße gemeint, die Regisseur Bert I. Gordon dem Publikum mit seiner trashigen Filmversion des Stoffes von 1977 („In der Gewalt der Riesenameisen“) zumutete. Doch dürfte die Nennung von sechs Zentimetern Körperlänge vollends genügen, um Akarophobikern eine stattliche Gänsehaut zu bescheren. Überhaupt entwickelt sich der Schrecken als abenteuerliche Reise ins „Herz der Finsternis“ eher subtil, womit Wells‘ Mär vom Aufstreben einer neuen dominanten Spezies packend Genüge getan wird.

Dass sich die Ameisen den Planeten nicht in menschlicher Raubritter-Manier Untertan machen, sondern ihren Anspruch auf die beherrschende Spezies mit strategischem Geschick – und der Möglichkeit der Koexistenz – vorantreiben, erinnert in Dörings Ausführung bisweilen an den (heimlichen) Genre-Klassiker „Phase IV“. Dem aufgeschlossenen Holroyd bleibt am Ende nicht mehr, als die Welt über die sich anbahnende Veränderung der Weltordnung zu informieren. Eine würdige und famos produzierte Modernisierung, die das Medium Hörspiel auch für Erwachsene zur echten Alternative macht.

Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

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