Darwins Alptraum (A/F/BE/FIN/S/CAN 2004)

darwins-alptraumWährend beim Spielfilm sämtliche Genres und Ideen längst abgefrühstückt sind, lebt die Dokumentation von ihrer Themenvielfalt. Die Überraschung liegt in der Tonalität, die meisten Streitpunkte und Kontroversen lassen sich von verschiedenen Seiten betrachten. Für Hubert Saupers Oscar-nominierten Film „Darwins Alptraum“ gilt das nicht. Der Österreicher wählt den Weg der Eindeutigkeit, sein unbequemer Beitrag zum Thema Globalisierung lässt Schönfärberei keinerlei Raum. Die dargestellte Katastrophe offenbart sich in technisch wie rational ungefilterter Wahrheit. Die Gewissheit schmerzt, nicht weniger das Gewissen. „Darwins Alptraum“ ist ein schonungsloser, ein mutiger Film.

Der Victoriasee, mit einer Fläche von fast 69.000 km² der größte See Afrikas, liegt in der ostafrikanischen Hochebene und verbindet die Staaten Tansania, Uganda und Kenia. Seine Artenvielfalt schien grenzenlos, bis in den sechziger Jahren der Nilbarsch im Viktoriasee ausgewildert wurde. Binnen weniger Jahrzehnte dezimierte der rentable Speisefisch ansässige Spezies und rottete verschiedene Buntbarscharten nahezu aus. „Darwins Alptraum“ zeigt die Folgen dieses ökologischen Desasters aus Sicht der an den Ufern des Gewässers heimischen Bevölkerung. Die hat den Fisch zwar direkt vor Augen, muss jedoch zusehen wie die Fangerträge nach Europa verkauft werden.

Die meisten Menschen der Region sind Fischer. Arbeitslose Fischer. Der explodierende Export hat weit mehr Arbeitsplätze vernichtet als geschaffen. In wenigen Fabriken wird der Nilbarsch verarbeitet und ausgeflogen. Die hungernde Bevölkerung wird mit ihrer Not allein gelassen. Den Profit streichen Einzelpersonen ein, der geringe Prozentsatz Erwerbstätiger wird mit Hungerlöhnen abgespeist. Die übrige Bevölkerung leidet Armut, gebeutelt von Aids, Prostitution und Kriminalität. Sauper rückt verschiedene Menschen ins Zentrum seiner Dokumentation. Die Prostituierte Eliza, den Nachtwächter Dimond, den Piloten Sergej, sie alle sind Menschen im Zentrum der Katastrophe.

Die meist osteuropäischen Piloten der Frachtmaschinen stellen keine Fragen. Auch für sie geht es ums Überleben. Manche von ihnen wissen, dass neben humanitären Hilfsgütern vor allem Waffen nach Afrika transportiert werden – zur Unterstützung der Bürgerkriege. So wird das Schicksal des Victoriasees von einer Spirale des Elends, einem Teufelskreis des Leids umsponnen. Dank „Darwins Alptraum“ bekommt diese Entwicklung abseits des europäischen Bewusstseins ein Antlitz. Kein freudiges, kein glückliches, sondern ein ausgemergeltes Gesicht. Und in diesem haben die Schattenseiten der Globalisierung tiefe Narben hinterlassen. Wiederholtes Wegsehen ist nach Saupers deutlichem Film nicht mehr möglich.

Wertung: 9 out of 10 stars (9 / 10)

 

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