Code 46 (GB 2003)

code-46Neben dem kontroversen Experimentalfilm „9 Songs“ bringt Regisseur Michael Winterbottom („Welcome to Sarajevo“, „In this World“) ein weiteres kopflastiges Werk in die Kinos – die angenehm andersartige Science-Fiction-Romanze „Code 46“. Diese siedelt den Rahmen der Handlung in einer nicht spezifizierten Zukunft an. Die Menschheit ist in zwei Sektoren gespalten, das zivilisierte Inside und das archaische Ödland Outside. Sprache ist globalisiert, verschiedene Dialekte und Sprachformen zu einem Wortschatz zusammengefügt.

Per Gesetzgebung wurden genetische Richtlinien aufgestellt. Einer dieser Paragraphen, der Code 46, verbietet genetisch ähnlichen oder identischen Menschen die Zeugung von Kindern. Verstöße werden mit der Verbannung ins Outside bestraft. Der Übergang von einem Sektor in den nächsten ist nur mittels spezieller Visa, so genannten Papelles, möglich. Derartige Reisen bleiben allerdings privilegierten Personen vorbehalten.

Eine dieser Personen ist der Regierungsermittler William (Tim Robbins, „Mystic River“). Um ein Sicherheitsleck in der Produktion einer Papelle-Fertigung aufzudecken, wird der verheiratete Familienvater nach Shanghai gesandt. Denn das Schwarzmarktgeschäft um die begehrten Pässe floriert. Vor Ort überführt William schnell Maria (Samantha Morton, „Sweet and Lowdown“) als Fälscherin. Doch schiebt er die Schuld, überwältigt von unverzüglicher Zuneigung, einem anderen Verdächtigen zu. Die beiden verbringen erst den Abend, dann die Nacht miteinander. Am Tag darauf muss William zurück, da die Frist seines Visums abläuft.

Als der rege Handel mit den wertvollen Dokumenten in Shanghai jedoch nicht versiegt, wird William erneut mit der Ermittlung betraut. Nach seiner Ankunft stellt er fest, dass Maria aufgrund einer nach Code 46 unrechtmäßigen Schwangerschaft verhaftet wurde. Denn beide weisen die strafrechtlich verbotene Ähnlichkeit der Gene auf. William holt Maria aus dem Krankenhaus ab. Allerdings ist er aufgrund einer Löschung ihrer Erinnerungen an das abgetriebene Kind und die Liebesnacht ein Fremder für sie. Trotzdem kommen sich die beiden erneut näher und planen sogar die gemeinsame Flucht. Doch hat das totalitäre System längst die Verfolgung aufgenommen.

Als faszinierende Mischung aus „Gattaca“ und „Lost in Translation“ begeht Michael Witterbottom die ziellose Reise der beiden Hauptfiguren. Seine Huxley’eske Zukunftsvision ist schlicht, wird ohne technisierte Fantastereien zur tastbaren Realität. Dabei kommt die elegische Erzählweise gänzlich ohne Action und Effekte aus. Im Vordergrund stehen Gesten, Mienenspiele und die zögerliche Anziehung der Charaktere. Die sind mit Oscar-Preisträger Tim Robbins und der überragenden Samantha Morton perfekt besetzt. Gerade letztere präsentiert trotz der expliziten Freizügigkeit ihrer Rolle eine der natürlichsten und glaubhaftesten Performances seit langem, eine absolute Glanzleistung.

Die atmosphärische Bebilderung vollzieht einen meisterlichen Spagat zwischen hektischem Großstadttreiben und schierer Bewegungslosigkeit. Die Kamera gibt den Erzählfluss vor, Tempo wäre hier fehl am Platze. Die anspruchsvolle Geschichte braucht Raum, um sich zu entfalten. Diesen gewährt Winterbottom, doch hält sein Film trotz des fast lethargischen narrativen Rhythmus eine konsequente Atmosphäre der Melancholie aufrecht. Letzten Endes gekrönt von einem großartigen Finale, repräsentiert auch „Code 46“ die Lebendigkeit des modernen Arthouse-Kinos. Für Feingeister jenseits der Massenunterhaltung definitiv mehr als nur einen flüchtigen Blick wert.

Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

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