27.03.2003 – Samiam / The Weakerthans / Olli Schulz – Berlin, Kato

Sonntag, 27. Juli des Jahres 2003, Berlin, Kulturbahnhof Kreuzberg, am U-Bahnhof Schlesisches Tor gelegen. Gegen 0:20 h Ortszeit kommt einer der womöglich letzten Liveauftritte der begnadeten kalifornischen Indie-Punks SAMIAM auf deutschem Boden mit den Zugaben „She Found You“, „Paraffin“ und „Ain’t No Size That Small“ zu einem rühmlichen Ende, begleitet und untermalt von bewundernswert frenetischem Einsatz des bewegungsfreudigen Publikums in Front der auf mittlerweile vier Verfechter unabhängiger musikalischer Entfaltung zusammengeschrumpften Formation aus Übersee. Bewundernswert, weil ein klimatisch arg tropisch angehauchter Dunst zwischen den Mauern des Kato sein Unwesen trieb und in diesen ohnehin schwülen Abendstunden wohl nicht mehr viel zum hausgemachten Regenguss benötigt hätte.

Im Vorfeld der schier erdrückenden Wolkenbildung im Gebäudeinnern sorgte bereits der noch herzlich wenig bekannte Hamburger Liedermacher Olli Schulz, der nicht nur im norddeutschen Vertreiber Grand Hotel Van Cleef (KETTCAR/TOMTE) eine Heimat gefunden hat, sondern im Oktober auch sein mit „Brichst du mir das Herz, brech ich dir die Beine“ betiteltes Debütalbum veröffentlichen wird, für gute Stimmung. Neben ihm zeigten sich die kanadischen Indie-Rocker WEAKERTHANS bemüht, die ansässige Meute von der Qualität ihres in Kürze erscheinenden dritten Longplayers „Reconstruction Site“ zu überzeugen. Im Falle des munter aufgelegten Erstgenannten, der gleichsam auch die Position des Fahrers der WEAKERTHANS vereinnahmte, lagen die Sympathiewerte klar beim offen selbstironischen und von eigenwillig unvermögenden Charme getränkten Auftreten des jungen Künstlers. Der bot neben einigen ausgefallenen Musiknummern über seine angedachten aristokratischen Wurzeln oder nach einem Hauch von Individualität trachtende Träger nonunikatärer TURBONEGRO-Jacken auch improvisierte Anekdoten über Gott und den Mikrokosmos des Lebens zum besten.

Somit ist der Aufwärmakt des Olli Schulz nicht nur als witzig und in höchstem Maße unterhaltsam zu betrachten, sondern auch als ausgezeichnete Visitenkarte für sein kommendes Schaffen. Doch mit dem nahenden Beginn der WEAKERTHANS’schen Darbietungen besann man sich auf den eigentlichen Grund der höchsteigenen Anwesenheit und hatte in der folgenden knappen Stunde ausreichende Gelegenheit, sich an den mit überragender Akkustik gesegneten Beiträgen der Kanadier um Ex-PROPAGANDHI-Bassist John K. Sams zu erfreuen. Die vollzogen nicht nur stimmige Tempowechsel, sondern wussten auch mit einem überaus zufriedenstellenden Set zu begeistern. Gleichwohl, zwischen gewächshausartiger Luftfeuchtigkeit befangen, wurden auch SAMIAM überschwänglich empfangen. Zwar wirkten sie am Ende ihrer vermeintlich letzten Europatour etwas müde und ermattet, verstanden diese Begleiterscheinung jedoch durch im Handstreich erreichte Routine, gepaart mit sichtlicher Spielfreude abzuschütteln.

Bereits zum Auftakt konnten sie beim energiegeladenen Zuschauerpulk mit Hits wie „Sunshine“, „Bad Day“ oder „Full On“ punkten. Soundtechnisch gab es derweil wenig Grund, in Euphorie zu verfallen, schlicht als dürftiges Geschrabbel ohne erkennbaren Gesang präsentierte sich die Akkustik anfangs, obgleich diese im Verlauf des Gigs merklich aufklarte. In diesem Zusammenhang muss begleitend noch angemerkt werden, dass SAMIAM der endgültige Abgang des zweiten Gitarristen James Brogan bei ihrer Live-Performance herzlich wenig zugute kam. Doch im Angesicht dieser Tatsachen schlugen sich SAMIAM wacker und den beständig mitgrölenden Pulk kratzte die technische Seite des Abends so oder so nur bedingt. In den insgesamt 70 Minuten ihrer Anwesenheit bedachten die Kalifornier um Stimmgewalt Jason Beebout in der Hauptsache ihr kommerziell verpatztes Majordebüt „Clumsy“ und den noch immer aktuellen Longplayer „Astray“, während das ’97er Aufstiegsalbum „You Are Freaking Me Out“ einmal mehr nur dürftig bedient wurde; immerhin kam mit „Clean“ zumindest ein Song früherer Tage zum Einsatz. Doch scherte auch dieser Umstand im Grunde niemanden, schließlich knüpften SAMIAM ein feines Band auserwählter musikalischer Kracher und garnierten diese mit lockeren Witzen und mitunter recht derben Machozoten.

Nach bereits erwähnten Zugaben verblieb die kleine Bühne denn trotz beständig lautstark anhaltenden Forderungen nach einer höheren Dosis SAMIAM verlassen und leer, was wohl zweifelsohne die haarige Fliege in der Suppe des gelungenen Konzertabends darstellte. Wie dem auch sei, die Ära SAMIAM neigt sich allen Anzeichen entsprechend dem Ende entgegen. Sollte dem tatsächlich so sein, nehmen wir mit einem ausgewachsenen Quäntchen Wehmut und tiefer Ergriffenheit Abschied von einem der einflussreichsten und über jegliche Zweifel erhabenen Mitbegründer des Schlagwortes Emo und sagen Danke für all die unvergesslichen Konzerte und die Fülle brillianter Rockalben. Sie haben diese Welt zumindest für einen Augenblick lang aus den Angeln zu hebeln vermocht. Und in unserem tiefsten Innern bewahren wir uns dennoch ein Fünkchen Hoffnung, dass dies eben doch nicht alles von SAMIAM gewesen sein mag…

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